065 - Der Geisterreiter
zerbrochen war. Es konnte sich nur um die alte Woffelsburg auf dem Berg handeln, der halb aus nacktem Felsen, halb aus kargem Wald bestand.
Dort hatten die Männer ein großes Feuer gemacht und Fleisch gebraten. Das Fleisch, die Würste und der Schinken hingen von einem dicken Stein herunter.
Sie, Christina, hatte helfen sollen, aber sie konnte nicht kochen, wie es die Reiter verlangten.
„Ja“, sagte Christina. „Die Männer habe mich verstanden. Sie sprechen langsam, wie Ausländer.“
Jürgen und der Polizist wechselten einen langen Blick. Dann fragten wir weiter.
Die beiden, die aussahen wie „im Karneval“, wie sich Christina ausdrückte, hatten sechs Pferde bei sich. Sie tranken viel Wein, aßen dauernd und sangen Lieder an dem mächtigen Feuer. Sie übten oft mit vielen Gewehren und Pistolen. Sie waren auch böse, denn jedesmal, wenn sie etwas nicht konnte, war sie geschlagen worden. Heute nacht hatte der Mann mit den Hörnern am Helm sie vor sich in den Sattel gesetzt und war bis zur Brücke geritten.
„Woher hatte er ein Beil, Christina?“ fragte der Polizist.
„Ach, irgendwo geklaut!“ war die Antwort.
Der Reiter hatte den Baum zur Hälfte eingekerbt, und als man die Lichter gesehen hatte, war der Baum umgefallen. Gerade, als das helle Auto kam. Das Klirren und Krachen war furchtbar gewesen.
Christina schüttelte sich wieder, obwohl es im Wagen inzwischen stickig und heiß geworden war. Der Fremde hatte zugesehen und war dann dorthin – sie deutete in die Richtung, in der wir sie gefunden hatten – geritten. Er hatte ihr noch einmal eingeschärft, was sie sagen sollte und war verschwunden.
„Was sollst du sagen?“ erkundigte ich mich.
Christina blickte mich an und erwiderte: „Ich hab’s vergessen.“
Wir sahen uns ratlos an. Langsam kurbelte ich ein zweites Fenster hinunter. Die ärgste Hitze wich aus dem Inneren.
„Jetzt weiß ich’s wieder!“ sagte das Kind schließlich fröhlich. Die Kleine schien es zu genießen, einmal echter Mittelpunkt zu sein. „Der Mann hat gesagt, er ist der Fürst Torras. Ja, das hat er immer wieder gesagt: Fürst Torras.
Die Stadt, in der wir alle sind, gehört ihm. Wir sind seine Leute und müssen ihm Abgaben bringen und ihm sagen, wo sein Heer ist. Wenn wir nicht tun, was er will, wird er uns alle umbringen!“
Der Polizist lachte, aber als er den Ernst der Lage begriffen hatte, wurde er sehr unsicher und leise.
„Und …“, begann Christina noch einmal. „Ich soll in einer Woche wieder hier sein. Dann wird er mir noch andere Sachen sagen.“
Fast unnatürlich ruhig meine Jürgen: „Zuerst sollten wir dich nach Hause bringen. Deine Eltern haben sich bestimmt Sorgen gemacht. Sie werden sich freuen, wenn ihr Mädchen wieder bei ihnen ist.“
„Ach, ich weiß nicht“, antwortete Christina.
Dann rollte sie sich auf dem Rücksitz zusammen und schlief sofort ein.
Wir hatten den kleinen roten Wagen restlos vollgepackt, so daß kaum noch Platz für uns beide übrig war. Langsam verliefen sich die Menschen, die unfreiwillig aufgehalten worden waren. Fast alle sahen jetzt recht nachdenklich aus.
Auf der Fahrbahn kehrte ein Polizist Scherben und Sägemehl zusammen. Die Stämme lagen inzwischen sauber aufgeschichtet neben der Straße, und schließlich fuhr auch der Feuerwehrwagen weg.
Jürgen startete und sagte leise zu mir: „Zuerst nach Hause und dann ins Krankenhaus … Ist dir das recht?“
„Ja“, sagte ich. „Nur weg von hier!“
Die Sterne verblaßten allmählich, die Nacht ging in ein ungewisses Zwielicht über, als wir wieder vor dem Haus meiner Eltern parkten und die aufgeplatzten Koffer und Taschen, die wir in dem zertrümmerten Wagen gefunden hatten, ins Haus räumten.
Nach einer kurzen Kaffeepause fuhren wir dann ins Krankenhaus. Vater durften wir nicht sehen, aber bei Mutter war Besuch gestattet.
Eine nette Schwester führte uns in ihr Zimmer.
Der Raum lag im Halbdunkel. Ich ging auf Zehenspitzen zum Bett und sah, daß sie wach war.
„Ich bin’s, Ille!“ flüsterte ich. Die Schwester neben dem Bett erhob sich und deutete mit einer Handbewegung an, daß ich Mutter keinesfalls aufregen dürfe. Ich nickte.
„Wie fühlst du dich?“
Ich beugte mich zu Mutter hinunter und streichelte ihre Wange. Sie war bis zum Hals zugedeckt. Um ihren Kopf lag ein dicker Verband. Die Hände konnte sie offensichtlich bewegen, die Arme anscheinend nicht. Sie lächelte schwach.
„Du brauchst dir keine Sorgen zu
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