065 - Der Geisterreiter
handelten schnell und, im Gegensatz zu den Begleitern des Fernsehteams, mit beachtlicher Umsicht.
Während der Hunne zu fliehen versuchte, wurden die Scheinwerfer voll aufgeblendet. Grelles Licht überschüttete uns von rechts. Dann heulte der Motor auf. Es war ein schweres Fabrikat. Er holperte zunächst, fuhr dann schneller und versuchte, uns den Weg abzuschneiden.
„Halt!“ schrie jemand. „Halten Sie an! Wir schießen!“
Das Pferd stolperte durch einen Moortümpel, doch der Hunne riß es am Zügel wieder hoch. Wasser und Schlamm spritzten auf.
Der Wagen kam beängstigend schnell näher. Auf den Rücksitzen stand ein Mann und zielte mit einer kurzläufigen Waffe auf uns. Vermutlich war es eine Maschinenpistole.
Noch einmal brüllte jemand aus voller Kehle: „Halt! Wir schießen wirklich!“
Der Hunne beugte sich nach vorn und drückte mich auf den Hals des Pferdes. Der Galopp wurde kürzer und holpriger. Aber das Pferd, das am ganzen Körper schwitzte und betäubend stank, rannte weiter, als verfüge es über Zauberkräfte.
Plötzlich hämmerte die Waffe auf. Ich sah nichts von ihrer Wirkung, aber jeder Muskel meines Körpers versteifte sich. Unwillkürlich erwartete ich den Schmerz einer Kugel, eines Schusses, der mich anstelle des Hunnen traf. Es kam mir wie eine kleine Ewigkeit vor, ehe die Detonation vieler Schüsse an mein Ohr klang.
Der Wallach stolperte, riß den Kopf hoch und wieherte laut. Es klang wie ein langgezogener Schmerzensschrei. Das Pferd knickte in den Vorderbeinen ein – der Hunne und ich wurden in hohem Bogen aus dem Sattel geschleudert. Meine Arme und Beine ruderten hilflos durch die Luft, dann fiel ich mitten in einen Moortümpel, der zum Glück fast zugewachsen war. Die stinkende Brühe klatschte über mir zusammen, aber die weichen Pflanzen und der Schlamm dämpften meinen Aufprall.
Der Hunne hatte sich überschlagen, kam aber wie durch ein Wunder wieder auf die Beine und rannte geduckt davon. Er entwickelte eine beträchtliche Geschwindigkeit dabei und schien sich der Gefahr durchaus bewußt zu sein.
Keine drei Meter neben mir brach das Pferd zusammen. Ich versuchte gerade mich aufzurappeln, aber der Schwall des braunen Wassers, den das stürzende Tier verursachte, riß mich wieder von den Füßen und warf mich nach vorn.
In diesem Augenblick war der Wagen heran. Zwei Beamte sprangen heraus und liefen auf mich zu.
„Wir haben das Pferd erwischt!“ schrie einer. Die Männer waren sehr aufgeregt. Ich fühlte mich dem Zusammenbruch nahe, aber ich schaffte es noch, von selbst auf die Beine zu kommen und damit den Pferdehufen auszuweichen, die mir bedrohlich nahe waren. Ich wankte aus dem braunen Brei heraus. Hinter mir wieherte hilflos das Pferd. Es war der letzte Angstschrei einer qualvoll gepeinigten Kreatur.
„Geben Sie dem Tier den Gnadenschuß!“ hörte ich einen der Männer im Befehlston rufen.
„Wird gemacht! Verdammt, das schöne Pferd!“
Zwei Männer ergriffen meine Arme und halfen mir. Meine Beine fühlten sich wie Gummi an und drohten jeden Augenblick umzuknicken. Ich wischte mir den Dreck von Stirn und Augen und bat: „Bringen Sie mich bitte zur Fundstelle zurück. Dort wartet mein Freund auf mich. Bitte, schnell!“
„Beruhigen Sie sich!“ sprach der eine Beamte auf mich ein. „Wir werden alles für Sie tun! – Er hat Sie entführen wollen, nicht wahr?“
Mir gingen plötzlich die Nerven durch und ich schrie den Mann an: „Glauben Sie vielleicht, ich bin dem Kerl freiwillig gefolgt?“
Blitzartig wurde mir bewußt, in welcher Gefahr ich geschwebt hatte, und vor meinen Augen begann sich alles zu drehen. Wie durch einen dichten Schleier bemerkte ich, daß mich die beiden Männer zum Wagen trugen und in den Sitz neben dem Fahrer hoben.
Ich hörte nur noch einen dumpfen Knall hinter mir, dann verlor ich das Bewußtsein.
Jürgen kümmerte sich rührend um mich. Seine Nähe wirkte wohltuend und beruhigend zugleich. Leider würde ich die Angst und den Schrecken, die ich eine knappe Viertelstunde lang ausgestanden hatte, nicht mit einem heißen Bad und einem Glas Kognak hinunterspülen können.
Wir fuhren mit Jürgens Wagen zurück, hatten ein Polizeiauto vor und ein Fahrzeug des Bundesgrenzschutzes hinter uns, die über unser Leben wachen sollten.
Plötzlich bremste Jürgen.
„Siehst du das Zeichen dort drüben?“ fragte er und deutete an meinem Gesicht vorbei nach rechts.
„Ja, was ist damit?“
Es handelte sich um eine Stange,
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