065 - Rendezvous mit dem Sensenmann
konnten, als das Grauen zuschlug. Es geschah unter Wasser. Ich sah sie wieder tauchen, aber sie kamen nicht mehr hoch.
Das Wasser verfärbte sich dunkel. Es war etwas passiert.
Angst und Zorn erfaßten mich, ließen mich Vorsicht und Rücksichtnahme vergessen. Hatte der unheimliche Tod mit der goldenen Sense etwa unter Wasser zugeschlagen?
Ich zog schnell die Schuhe aus, warf Hose und Hemd auf den Boden und hechtete vom Steg ins Wasser. Ich kraulte zu der Stelle, wo die beiden untergegangen waren und tauchte hinab.
Das Wasser war hier über fünf Meter tief. Es bohrte und stach in meinen beiden Trommelfellen, und ich spürte einen dumpfen Druck zwischen den Augen.
Ich suchte nach Werner und Naomi, aber ich fand sie nicht. Zu meiner Rechten wuchsen Algen, und ich schwamm in diese Richtung. Unter Wasser konnte man kaum noch etwas erkennen.
Dann sah ich zwischen den Algen etwas Goldenes blitzen. Ich sah eine schemenhafte Gestalt in sitzender Haltung. Meine Lungen brauchten Luft, mein Gehirn Sauerstoff. Ich mußte nach oben. Mit Händen und Füßen paddelnd schoß ich hinauf. Ich schluckte Meerwasser und durchstieß endlich mit dem Kopf die Wasseroberfläche.
Luft! Ich sog sie ein und die Pein wich. Ein paar tiefe Atemzüge, und ich tauchte wieder.
Diesmal sah ich die schemenhafte Gestalt nicht mehr. Aber ich war davon überzeugt, daß ich unter Wasser den Tod mit den goldenen Handschuhen und der Sense gesehen hatte. Den Tod, der vor zwei Tagen das Mädchen Arlette geholt hatte, und viele andere vor ihr.
Ich suchte den Meeresboden ab, doch ich stieß weder auf die Todesgestalt noch auf die Leichname von Naomi und Werner. Nach einer Weile mußte ich die Suche aufgeben. Mit matten Bewegungen schwamm ich zum Steg. Die Depression machte mir mehr zu schaffen als die Anstrengung.
Ich hatte mich bereitgehalten, um Naomi zu schützen, und jetzt waren sie und Werner tot. Zwei harmlose junge Leute, die niemandem etwas getan hatten.
Es würgte in meiner Kehle. Der ohnmächtige Zorn schnürte mir fast die Luft ab. Diesem Spuk würde ich ein Ende bereiten. Das schwor ich mir.
Ich schlug nun Lärm und rief, daß es zu einem Badeunfall gekommen sei. Es gab einen großen Auflauf. Männer schwammen hinaus, tauchten und suchten. Der Manager der Lagunensiedlung und die Polizei erschienen.
Alle suchten vergebens. Naomi und Werner blieben verschwunden. Sicher hatte der Dämon, der sich unter der Maske des Todes verbarg, ihre Leichen mitgenommen.
Im Verwaltungsbungalow gab ich zu Protokoll, wie Werner Schulte und Naomi ums Leben gekommen waren. Natürlich erzählte ich nicht die wahre Geschichte. Die Gendarmen von Antibes hätten mich für verrückt gehalten. Ich gab an, sie seien untergetaucht und nicht mehr hochgekommen.
Alle standen vor einem Rätsel. Man nahm an, daß das Liebespaar ertrunken war. Aber dann hätten die Leichen gefunden werden müssen. Eine Strömung, die sie wegtreiben konnte, gab es nicht.
Ich bot keine Erklärung an.
Der Manager der Bungalowsiedlung meinte schließlich, durch die Gezeiten oder andere Einflüsse müsse ein Sog entstanden sein. Er habe den Tod des Mannes und des Mädchens verursacht und die Leichen ins Meer hinausgetragen.
Eine befriedigende Erklärung war das nicht. Doch für die Polizei gab es nichts zu tun.
Die Gendarmen und die Taucher, die zu den an der Küste stationierten Rettungsschwimmern gehörten, fuhren ab. Ich sollte am Nachmittag des nächsten Tages auf der Polizeistation vorbeikommen, um noch einige Fragen zu beantworten. Bis dahin wollte die Polizei Nachforschungen über die beiden Toten anstellen.
Die Neugierigen hatten sich längst verlaufen, da es nichts mehr zu sehen gab.
Es war nach zehn Uhr abends, als ich in meinen Bungalow zurückkehrte. Ich ließ mich schwer in den Sessel fallen und zündete mir eine Zigarette an.
Dumpf brütend starrte ich vor mich, rauchte und trank hin und wieder einen Schluck Rotwein. Immer wieder mußte ich an Werner denken, diesen netten Kerl, der für die Fahrt an die Côte d'Azur hart gearbeitet und gespart hatte. Auch an Naomi dachte ich, die schwarze Diplomatentochter, die hier etwas hatte erleben wollen.
Als es Zeit war, stand ich auf und zog eine dunkle Hose und ein schwarzes Trikothemd an, um mich in der Nacht ungesehen bewegen zu können. Ich trug die Gnostische Gemme mit dem Abraxas um den Hals.
Außerdem nahm ich ein langes starkes Tranchiermesser aus der Küche mit. Ich hatte im Gepäck ein Dutzend Silberkugeln
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