065 - Rendezvous mit dem Sensenmann
unser Motorboot. Der Kajütkreuzer entfernte sich und kehrte zur Küste zurück.
Wir folgten in einigem Abstand. Werner war immer noch ganz hingerissen.
„Heute nacht!" rief er, und es klang triumphierend wie ein Fanfarenstoß, der die Eroberung einer Stadt ankündigte. „Naomi wird heimlich die Villa verlassen. Wir werden sie abholen, Dorian." „Wir? Bei euch beiden störe ich nur."
„Wieso bei uns beiden? Elise Busch kommt auch mit. Sie ist recht angetan von dir. Können wir in deinen Bungalow gehen?"
„Klar, Werner."
Wenn zwei Mädchen nachts die Villa verließen, mußten das die alten Damen merken. Dann würden sie reagieren, und es mußte etwas geschehen. Ich wollte mich bereithalten, um eingreifen zu können.
Coco, die mit Elise Busch das Zimmer teilte, würde nicht verborgen bleiben, wenn das Mädchen in der Nacht verschwand. Auch sie würde Bescheid wissen.
In einiger Entfernung hinter dem Kajütkreuzer fuhren wir auf die Küste zu. Ich blickte zu der Felsenbucht und der Villa hinüber, von der man nur einen Teil des Daches sehen konnte. Da erblickte ich zwei Gestalten auf einem Felsplateau über dem Meer.
Die altmodische Kleidung und die großen Sonnenhüte waren nicht zu verkennen. Es waren zwei der alten Damen von der Villa Daimon, Stanislas Beauforts ergebene Schülerinnen und Verehrerinnen. Wenn sie ein scharfes Fernglas hatten, dann hatten sie verfolgen können, was sich auf dem Meer abspielte. In mir keimte der Verdacht auf, daß sie das Treffen zwischen den Mädchen und uns absichtlich zugelassen hatten. Vielleicht hatte Jean sogar Instruktionen von ihnen erhalten.
Wenn die Mädchen sich mit Männern trafen und gegen die Hausordnung verstießen, war das ein Grund, ein Exempel zu statuieren und eine von ihnen davonzujagen. Naomi hatte im Gespräch beiläufig erwähnt, daß ihre Vogelscheuche so gut wie fertig war.
Coco spürte, daß in der Villa wieder etwas vorging. Als die vier Mädchen von dem Bootsausflug zurückkamen, ging der Chauffeur Jean zu den vier alten Damen. Coco wußte nicht, was im Wohntrakt der vier Alten besprochen wurde. Doch bald wurde Naomi Akilele auf die Terrasse gerufen. Coco versteckte sich im Gebüsch und hörte alles mit.
„Wir haben beobachtet, daß ihr euch draußen auf dem Meer mit Männern getroffen habt", keifte Camilla. „Jean hat es gestanden, als wir ihn ins Verhör genommen haben. Er hat einen strengen Verweis erhalten. Du hast es am schlimmsten getrieben. Du hast mit einem fremden Mann in der Kabine unseres Motorbootes Unzucht getrieben."
„Das ist nicht wahr."
„Lüge nicht, du freches Ding! Wir wissen Bescheid. Du hast Monsieur Beauforts Güte und unser Entgegenkommen schamlos ausgenutzt. Was bildest du dir eigentlich ein? Unser Boot ist doch kein schwimmendes Bordell."
Naomi richtete sich gerade auf. Sie hatte ein heißblütiges Temperament und ihre Augen funkelten. „Spielen Sie sich nicht so auf! Sie sind schließlich auch nicht vom Händchenhalten entstanden." „Was?" fauchte Camilla. „Du schämst dich nicht einmal? Unter unserem Dach hast du nichts mehr zu suchen. Monsieur Beaufort hat sich schrecklich aufgeregt, als er gehört hat, was vorgefallen ist. Zu Abend essen kannst du hier noch. Aber dann packst du deine Sachen und gehst."
„Euer Abendessen könnt ihr eurem Monsieur Beaufort in die Haare schmieren!" schrie Naomi. „Ich gehe sofort, auf der Stelle. Mir reicht es jetzt mit diesem albernen Getue und dieser Heuchelei. Ich bin keine verschrobene Jungfrau, bei der der menschliche Körper unterhalb des Nabels aufhört. Wenn mir ein junger Mann gut gefällt, dann schlafe ich auch mit ihm. Und es ist mir vollkommen egal, was dieser Mummelgreis Monsieur Beaufort davon hält."
Die alten Damen rangen die Hände, zitterten und schrien.
„Habt ihr das gehört?"
„Furchtbar, entsetzlich! So etwas müssen wir uns unter unserem eigenen Dach bieten lassen."
„Eine Schlange haben wir an unserem Busen genährt!"
„Hier hast du nichts mehr verloren. Zieh doch zu deinem Liebhaber, du - du Dirne, du Flittchen!" „Genau das habe ich auch vor, ihr vertrockneten alten Spinatwachteln!"
Naomi ging ins Haus, ohne die vier alten Damen eines weiteren Blickes zu würdigen. Coco, die sich im Gebüsch versteckt hielt, hätte fast laut aufgelacht. Die vier benahmen sich, als müsse gleich der Himmel einstürzen oder Beelzebub persönlich aus der Erde treten.
Die überspannte Sabrina fiel in Ohnmacht, und Lucia und Alma hantierten mit einem
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