065 - Überfallkommando
die Hauptstraße. Erleichtert nahm sie die Richtung nach Norden und fuhr im schärfsten Tempo nach London. Ann Ferryman fuhr leidenschaftlich gern mit höchster Geschwindigkeit. Es war ihr größtes Vergnügen, am Steuer zu sitzen und mit Genugtuung festzustellen, daß der Geschwindigkeitsmesser immer höher kletterte.
Als sie nach Kingston Hill kam, verlangsamte sie das Tempo. Ein Polizist rief ihr etwas zu, und sie drehte ihre Scheinwerfer an, obgleich es noch nicht sehr dunkel war. Der Mann hatte eigentlich kein Recht dazu, diese Anordnung zu geben, und handelte etwas eigenmächtig im Bewußtsein seiner Autorität.
Noch vor einem Jahr würde sie über eine derartige Aufforderung gelacht haben und ihr nicht nachgekommen sein. Im Gegenteil, damals machte es ihr das größte Vergnügen, den Anordnungen dieser unbedeutenden Beamten zu trotzen. Aber Mark hatte darauf bestanden, daß sie sich in all diesen kleinen Dingen den Vertretern des Gesetzes gefügig unterwarf. Sie haßte alle Polizisten. Der Anblick eines weißen Arms mit einem Handschuh, der ihr an einer Straßenkreuzung Halt gebot, trieb ihr das Blut in die Wangen.
Wieder verlangsamte sie die Fahrt, als die Lichter von Hammersmith Broadway in Sicht kamen. Hier traf sie auf einen lebhaften Wagenverkehr und suchte ihren Weg mühsam zwischen einem schweren Lastwagen und einem Autobus. Schließlich mußte sie neben dem Gehsteig anhalten. Als sie nach rechts schaute, sah sie einen Herrn in der Nähe stehen und schrak zurück. Aber die hellen Lampen eines Kolonialwarenladens beleuchteten grell ihr Gesicht, und es war unmöglich, der Beobachtung dieses Mannes zu entgehen.
Seine Haltung war charakteristisch. Die Hände hatte er tief in die Hosentaschen gesteckt, Schultern und Kopf waren vornübergeneigt. Obwohl das scharfgeschnittene, braune Gesicht im Schatten war, konnte man doch aus der Haltung erraten, daß seine Gedanken weit von Hammersmith Broadway entfernt weilten. Zuerst gab. er nicht zu erkennen, daß er sie gesehen hatte. Sie wandte rasch den Kopf und schaute krampfhaft nach dem Lastwagen, der auf der anderen Seite hielt. Aber sie sah doch, wie er auf sie zukam. Gleich darauf stützte er die Ellbogen auf den unteren Rand ihres offenen Fensters.
»Haben Sie eine Spazierfahrt gemacht, Miss Perryman?«
Sie haßte ihn, sie haßte seine gedehnte Sprache, sein ganzes Wesen, seinen Beruf. Mark sprach immer von Zweckmäßigkeit, aber die Bekanntschaft mit diesem Mann hatte sie nach ihrem eigenen Willen gepflegt. Überlegt und kaltblütig hatte sie damals eine zweite und dritte Begegnung mit ihm herbeigeführt und hatte ihn später noch viele Male getroffen. Noch empfand sie heftigen Schmerz über den Tod ihres Bruders, aber sie spielte ihre Rolle gut. Mit vielen Worten hatte sie sich wegen der Beleidigung bei ihm entschuldigt, die sie ihm damals zugefügt hatte. Er konnte nicht ahnen, welchen Haß sie gegen ihn im Herzen trug.
»Ach, Mr. Bradley! Ich hatte Sie gar nicht gesehen.«
»Die Leute pflegen mich auch selten zu sehen, wenn sie nach der entgegengesetzten Richtung schauen«, sagte er.
Sie glaubte, daß seine Blicke das Innere des Wagens absuchten.
»Sind Sie ganz allein? Das ist großartig. Wenn ich von mir sprechen darf, so liebe ich es auch, mich nur mit mir selbst zu unterhalten. Vielleicht fühlen Sie ähnlich.«
Er sah, daß der Verkehrspolizist den Weg freigab.
»Fahren Sie zufällig in die Nähe der Marble Arch? - Wissen Sie, ich spare immer das Geld für den Autobus, deshalb hält man mich für einen Schotten.«
Sie zögerte. Es war unerträglich, ihn neben sich zu wissen, aber Mark hatte gesagt ...
»Bitte steigen Sie ein. Ich fahre dort vorbei.«
Er stieg rasch in den Wagen und setzte sich neben sie.
»Sicher trägt das zu meinem guten Ruf bei«, sagte er scherzend.
»Wenn meine Vorgesetzten sehen könnten, daß ich in so guter Gesellschaft fahre, würde ich nächste Woche befördert werden.«
Sie konnte seine sarkastische Art kaum ertragen; sie haßte ihn um so mehr, als sie überzeugt war, daß er sich innerlich über sie lustig machte. Gewiß kannte er die Rolle, die sie in Mark McGills Organisation spielte. Und doch schien er eher belustigt als empört darüber zu sein. Das väterliche Wohlwollen in seinem Ton war unausstehlich.
Sie preßte die Lippen zusammen, als ihr Wagen jetzt schneller zwischen einem Gewirr von Lastwagen, Straßenbahnen und anderen Fuhrwerken nach Sheperds Bush fuhr.
»Geht es Mr. McGill gut?« fragte
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