065 - Überfallkommando
betrachtete er stirnrunzelnd das Teppichmuster.
»Manchmal brauche ich viel Unterstützung, um einen Entschluß zu fassen. Ich hatte eigentlich heute Bradley gegenüber nicht mehr das alte Gefühl, als er neben mir saß. Er hätte mir doch eigentlich unerträglich sein müssen, und doch war es nicht so. Es ist nicht leicht, alten Haß neu aufzustacheln. Ich sagte mir immer wieder: Neben dir sitzt der Mann, der Ronnie umgebracht hat - aber war er es denn wirklich? Vielleicht war es einer von den anderen Leuten, vielleicht dieser gräßliche Simmonds.«
»Bradley hat ihn wirklich auf dem Gewissen.« Mark starrte immer noch auf den Teppich. »Auch an dem Tod des alten Li wird er schuldig sein.«
Langsam erhob er sich und ging mit verschränkten Armen im Zimmer auf und ab. Ein unmutiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht.
»Ich spreche nicht gern über Ronnie, aber Sie haben im vergangenen Monat nun schon zweimal davon angefangen. Wie sich die Sache genau zugetragen hat, weiß niemand.«
Er blieb vor dem Schreibtisch stehen, schloß eine Schublade auf, nahm einen Umschlag heraus und schüttelte den Inhalt auf die Schreibunterlage. Dann suchte er in den Papieren umher, zog schließlich einen Zeitungsabschnitt hervor und ging zum Kamin, weil dort die Beleuchtung besser war.
»Ich habe Ihnen das noch nicht gezeigt - es ist ein Ausschnitt aus dem South Eastern Herald, der einen Bericht über die Vorgänge gibt.«
Er las ihr vor:
»In den frühen Morgenstunden des vergangenen Mittwoch hat die Fliegende Kolonne unter Führung von Inspektor Bradley Lady's Stairs einen Besuch abgestattet. Das alte, baufällige Haus wird von Elijah Yoseph, einem holländischen oder russischen Mann, bewohnt. Man nimmt an, daß das Vorgehen der Polizei auf eine Anzeige der Zollbehörde zurückzuführen ist. Es sollen gewisse zweifelhafte Waren in das Land eingeschmuggelt und in der Wohnung Li Yosephs versteckt worden sein. Als die Polizei in Lady's Stairs ankam, fand sie das Haus leer, aber das Wohnzimmer war vollständig in Unordnung, und die Beamten hatten den Eindruck, daß hier ein Kampf stattgefunden hatte. Auf dem Brett vor dem Fenster, das nach dem Wasser führt, fanden sich Blutflecken, ebenso auf dem Fußboden, ungefähr einen Meter von dem offenen Fenster entfernt. Die Polizei suchte die Ufer der Bucht ab, und man fand die Leiche eines Mannes, den man später als Ronald Ferryman, 904 Brook Street, identifizieren konnte. Die Untersuchung ergab, daß er mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen worden war. In Scotland Yard hat man verschiedene Anhaltspunkte, die zu einer Verhaftung führen können. Inhaber von benachbarten Garagen, die in der fraglichen Nacht den Wagen eines Fremden einstellten, werden gebeten, sich umgehend mit Scotland Yard in Verbindung zu setzen. Es ist ein Wagen gesehen worden, der nach dem Mord aus der Meadow Lane abfuhr.«
»Dieser Zeitungsausschnitt gibt natürlich den Polizeibericht wieder«, sagte Mark und faltete das Papier zusammen. »Der meinige lautet etwas anders. Li Yosephs Wohnung war tatsächlich eine Schmuggelhöhle. Wir haben mehrere Male größere Geschäfte mit ihm gemacht, und Ronnie war gewöhnlich der Verbindungsmann zwischen ihm und mir. Der alte Mann hatte Ihren Bruder recht gern. An dem fraglichen Abend hatte ich Ronnie zu einem Dampfer geschickt, um wegen einer größeren Menge Tabak zu verhandeln. Es steht nun fest, daß die Polizei davon erfahren haben muß und ihm auf dem Fluß auflauerte.«
»Was ist denn aber aus Li Yoseph geworden?« fragte sie.
»Das mag der Himmel wissen. Wahrscheinlich hat er Angst bekommen und ist außer Landes gegangen. Er hatte Abmachungen mit fast allen Kapitänen der holländischen und deutschen Schiffe, die die Themse hinunterfahren. Und mit seinem kleinen Boot war es ihm leicht, zum Dampfer zu kommen. Ja, die Polizei hat Ronnie auf dem Fluß überrascht -dabei kam es zu einem Handgemenge, und jemand hat ihn mit dem Knüppel niedergeschlagen. Der Schlag muß sehr unglücklich gewesen sein, und um die Sache zu vertuschen, haben sie eben diese Geschichte erfunden. Da wird von einem Fremden geredet, der mit seinem Auto dorthin kam. Wir haben uns aber genau erkundigt, es ist niemand dort gesehen worden. Die ganze Geschichte ist nicht wahr.«
»Haben Sie versucht, Li Yoseph wieder aufzufinden?«
Mark zögerte einen Augenblick mit der Antwort.
»Ja, ich habe einen Mann nach Litauen und nach Holland geschickt, um Nachforschungen anzustellen - Li Yoseph
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