0652 - Der Bogie-Mann
stecken. Jessica wusste, was sie anrichten konnten. Sie rechnete damit, dass er in Flammen aufgehen oder anders vergehen würde. Zu ihrem Schrecken geschah das nicht.
Er blieb auf seinen kurzen Beinen hocken, brüllte schrecklich, bewegte dann seine Arme wie Windmühlenflügel, ohne Jessica allerdings erwischen zu können.
Dafür wankte er zurück. Er schaukelte beim Gehen. Aus den Wundlöchern rann dabei eine dunkle Flüssigkeit, von der Jessica nicht einmal sagen konnte, ob es Blut war.
Immer weiter ging er, fiel dabei nicht, blieb auf den Beinen, gab gurgelnde Laute von sich, die sich anhörten, als würde Wasser aus dem Maul strömen.
Aus der unteren Etage drangen wild klingende Geräusche in den oberen Gang.
Poltern, Schreien und Fluchen. Wahrscheinlich kämpfte John mit den drei Schwestern.
Jessica hätte dem Geisterjäger gern zur Seite gestanden. Das war nicht möglich. Sie hätte an dem Bogie-Mann vorbei gemusst, der zwar rückwärts taumelte, aber noch immer den Weg versperrte.
Dann hatte er die Treppe erreicht. Die oberste Stufe, die Kante - und er kippte.
Es wirkte beinahe lustig, wie er seine langen Arme in die Höhe riss, ohne allerdings einen Halt finden zu können. Auch er musste den Kräften der Physik Tribut zollen, verlor sein Gleichgewicht und rollte die hellen Treppenstufen hinab.
Das Poltern bei jedem Aufschlag war Musik in Jessica Longs Ohren. Mit der Beretta im Anschlag und wehenden Haaren hetzte sie auf die Treppe zu, um den Bogie-Mann zu verfolgen. Ihre Angst war vorbei. Wenn möglich, wollte sie ihm den Rest geben…
***
Sie fielen mich an wie Kraken. Von drei Seiten wuchteten die Schwestern auf mich zu. Ich hatte mich zur Seite gedreht, wäre fast entwischt, aber da lag Tippy plötzlich am Boden und sie hatte einen verdammt langen Arm. Ihre Finger angelten nach meinem Knöchel. Sie erwischten ihn in der Vorwärtsbewegung, die brutal gestoppt wurde, sodass ich mit dem Gesicht zuerst dem Boden entgegenfiel. Ich hätte mich blutig schlagen können, doch es gelang mir im letzten Augenblick, mich abzufangen.
Bevor ich mich herumwerfen konnte, flog Marion wie ein langer Schatten auf mich zu.
Ihr Gesicht war zu einer Fratze geworden. Sie hatte ihre Hände zu Krallen geformt und hieb mit den gekrümmten Fingern zu. Ich rammte ihr meinen Kopf entgegen.
Bevor sie mich erwischte, traf ich ihr Gesicht. Sie schrie wütend und schmerzerfüllt auf, denn aus ihrer Nase strömte plötzlich Blut. Dann stieß ich den Körper von mir weg. Gerade rechtzeitig genug, um Esther zu sehen, die neben mir stand und mit beiden Händen einen Stuhl hoch über ihren Kopf erhoben hatte. Sie wollte mir das Möbel auf den Schädel schmettern.
Ich trat ihr vorher in den Magen. Sie schlug zu, geriet aus der Richtung und der Stuhl flog über mich hinweg, knallte auf den Tisch und räumte dort die Gläser weg, die sich wie ein Feuerwerk aus Splittern auf dem Boden verteilten.
Ich rollte mich herum, verschaffte mir die Freiheit, die ich brauchte, und sprang in die Höhe.
Tippy hielt die Weinflasche umgekehrt in der Hand. Da sich Flüssigkeit darin befand, ergoss sie sich über ihren Kopf, was Tippy nicht störte, denn sie wollte mir die Flasche gegen die Stirn hämmern.
Ich kam ihr mit der Handkante zuvor, erwischte sie am Unterarm. Mein Schlag war härter gewesen.
Plötzlich machte sich die Flasche selbstständig und trudelte davon.
Sie gaben nicht auf. Als ich Tippy über den Tisch geschleudert hatte, sprang mir Esther in den Nacken. Sie schrie mir unflätige Flüche ins Ohr, war außer sich vor Wut und wollte mir die Haut zerkratzen.
Ich lief zur Seite in Richtung Treppe. Marion rannte ebenfalls herbei.
Die Schwestern waren zum Glück keine ausgebildeten Kämpferinnen, sonst hätte ich kaum eine Chance gehabt.
Esther krallte sich noch immer an mir fest, als hinge davon ihr Leben ab. Ich keuchte, als ich Kraft sammelte, mich dann drehte, schneller wurde und Esther der Fliehkraft nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Ihr Griff lockerte sich, dann löste er sich.
In einem schrägen Flug jagte sie genau auf Marion zu. Es war filmreif, wie beide zusammenkrachten und zu Boden gingen. Ich fuhr sofort herum, denn Tippys Keuchen hatte mich gewarnt.
Sie wollte mich anspringen. Meine Ohrfeige erwischte sie voll. Schreiend kippte sie zu Boden und trat dort wild mit den Beinen um sich.
Und noch ein Schrei erklang.
Esther Drake hatte ihn ausgestoßen und ihn gleichzeitig in einen Begriff
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