0654 - Unter dem Vampirmond
versuchte sich aus dem stahlharten Griff zu befreien, aber es gelang ihr nicht. Statt dessen fetzte ihr eine zweite Hand die Kleidung vom Leib. Sie wehrte sich dagegen, schlug und trat um sich, aber das nützte ihr nichts. Die Klaue, die ihr Genick umschloß und erbarmungslos zudrückte, war stärker und lähmte sie fast. Ihre Hände und Füße erreichten den Gegner nicht einmal, egal wie sie sich wand und zu drehen versuchte.
Schließlich wurde sie nach vorn gestoßen. Sie streckte die Hände vor, fing sich ab, ehe sie gegen eine rauhe Kalksteinwand prallen konnte, und wirbelte herum. Wütend fauchte sie ihren Gegner an; ihre Fangzähne traten lang aus dem aufgerissenen Mund hervor.
»Was zum Erzengel soll das, du Stück Dreck? Dafür reiße ich dir dein verschimmeltes Herz aus dem Kadaver und werfe es den Ghouls zum Fraß vor!« schrie sie zornig.
Kees van Sarken lachte wild und böse auf. »Du wirst nachlässig, meine Liebe«, stieß er hervor. »Ich hätte dich töten können, wenn ich gewollt hätte!«
»Das wäre gegen den Kodex!« fuhr sie ihn an.
Er grinste und genoß den Anblick ihres jetzt bis auf die hochhackigen, langen Stiefel nackten Körpers. »Jeder andere hätte es auch gekonnt. Zum Beispiel ein Vampirjäger! Sie sind hinter dir her, mein Täubchen! Willst du nicht ein letztes Mal genießen, was das Leben dir bieten kann, ehe sie dir einen Pfahl ins Herz stoßen und dich zu Staub zerbröseln lassen?«
Er machte eine eindeutig-zweideutige Geste, während er sie lüstern anstarrte.
»Das hättest du wohl gern«, fauchte sie. »Such dir lieber ein Mauseloch!«
Sie spie vor ihm aus.
»Der Meister des Übersinnlichen ist in der Stadt«, sagte van Sarken.
»Und er ist nicht allein hier. Unter den Menschen wird dein Bild verbreitet. Sie wissen vielleicht nicht, daß du eine Vampirin bist, aber sie werden dich an ihn verraten, immer und überall. Welchen Fehler hast du noch begangen, außer daß du dich von mir hast überraschen lassen?«
Sie bückte sich nach den Resten ihres Kleides. Es bestand nur noch aus ein paar Streifen, die sie sich um die Körpermitte schlang. Auf den Rest der Fetzen verzichtete sie.
»Ich weiß, daß Zamorra hier ist. Ich habe ihn hergelockt.«
»Du mußt den Verstand verloren haben. Die Versammlung wird stattfinden, und du lockst einen Todfeind her? Du bringst uns in Gefahr. Ich werde dich anklagen.«
»Du nicht, und deine ganze Verwandtschaft nicht«, zischte sie. »Ihr seid nämlich zu dumm, meinen Plan zu begreifen. Andere werden klüger sein. Und nun geh mir aus den Augen.« Sie schritt an ihm vorbei. Als er nach ihr greifen und ihr gierig grinsend die Stoffreste wieder vom Körper pflücken wollte, versetzte sie ihm einen schmerzhaften Kniestoß und zog ihm zugleich die Fingernägel durchs Gesicht, dessen Grinsen zur Grimasse erstarrte. Nur um Millimeter verfehlte sie eines seiner Augen, riß ihm die Haut tief auf. Schwarzes Blut schoß hervor und wurde noch in der Luft zu grauem Staub. Kees van Sarken war alt, sehr alt. Die welke Haut raschelte, und auch vom Fleisch rieselte ein wenig als Staub zu Boden.
Er keuchte und krümmte sich.
Die Vampirin wandte sich nicht mehr um. Sie schritt durch die düsteren unterirdischen Gänge, in denen sie so gut sehen konnte, als wäre es heller Tag. Sie fragte sich, wie van Sarken sie hatte überraschen können. Sie mußte tatsächlich leichtsinnig geworden sein.
Er war also schon hier.
Vielleicht hatten sich auch andere hochrangige Mitglieder der Sarkana-Sippe bereits eingefunden. Sie mußte Gino sprechen. Wenn sie ihn auf ihrer Seite hatte, hatte sie gewonnen. Allen anderen konnte sie die Beute -den Dämonenjäger - als Überraschung präsentieren.
Aber es war besser, Gino diSarko einzuweihen. Er besaß die Macht und die Autorität, zornige Greise wie van Sarken in ihre Schranken zu verweisen.
Sie wünschte, es hätte damals van Sarken erwischt und nicht den alten Sarkana. Der war wenigstens ein richtiger, erfahrener Liebhaber gewesen. Van Sarken dagegen war ein - ach, zu den Erzengeln mit ihm! Selbst die Vorstellung, es mit diesem schlaffen Gerippe zu treiben, erzeugte Übelkeit.
Sein Wutgeheul verklang in der Ferne hinter ihr.
Soeben hatte sie sich innerhalb der Sippe einen Todfeind geschaffen.
Nicht den ersten…
***
Rouland ahnte ebenso wie Sarrates, daß Zamorra und seine attraktive Begleiterin auf eigene Faust handeln würden. Von der versteckten Erlaubnis des Inspektors ahnte Rouland zwar nichts, aber er
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