0657 - Angst vor dem roten Phantom
Marktgesetzen funktionierten.
Der Mann trug ein Jackett, das ihm viel zu lang war. Darunter eine warme Strickjacke.
Er schaute nur Jane an, nickte ihr zu, dann richtete er seinen Blick auf mich.
Ich grüßte.
Der alte Mann verzog kaum die rissigen Lippen, als er sagte: »Du also bist John Sinclair!«
Ich musste wohl vor Überraschung gezwinkert haben, denn er fing an zu lachen. »Überrascht es dich, dass ich deinen Namen kenne?«
»Eigentlich schon.«
»Das ist ganz einfach. Erinnere dich an den letzten Abend. Da hast du Besuch bekommen.«
»Ivana.«
»Es freut mich, dass du ihren Namen behalten hast.«
»Wie könnte ich ihn vergessen? Sie hat mich stark beeindruckt.«
Der Alte lächelte. »Davon sprach auch sie. Aber sie scheint dich doch nicht so stark beeinflusst zu haben, wie wir es uns gewünscht hätten, John Sinclair.«
»Das musst du mir erklären.«
»Gern. Hatte Ivana dir nicht geraten, dich nicht in diesen Fall einzumischen?«
»Es stimmt.«
»Und jetzt bist du hier.«
»Ja, ich musste kommen.«
Er hob einen Zeigefinger. »Trotz der Warnung.«
»Du vergisst, dass ich eine Aufgabe zu erledigen habe. Ich bin beim Yard angestellt und gehe den Fällen nach, die in mein Ressort fallen. Aber das brauche ich dir wohl nicht zu sagen.«
Der alte Mann überlegte einen Moment. »Da hast du sicherlich Recht, was andere Dinge angeht. Es würde dich auch niemand von uns daran hindern, diese Fälle aufzuklären. Hier aber ist es wirklich etwas anderes. Das müssen wir allein ausmachen und wir werden all diejenigen bestrafen, die an der Tat beteiligt waren.«
»An welcher Tat denn?«, fragte Jane. Sie hatte in meinem Sinne gesprochen, denn auch ich wusste im Prinzip nicht, um welches Motiv es hier überhaupt ging.
»Sie haben ein Kind getötet. Es war ein Junge von nicht einmal zehn Jahren, und er gehörte zu uns.«
»Wer tötete das Kind?«
»Zwei Männer, zwei Verbrecher. Wir haben uns erkundigt. Mafiosi, sagt man wohl…«
Auf einmal ging bei mir der berühmte Kronleuchter auf. Nicht nur einer, sondern drei. Ich dachte an Logan Costellos Anruf bei Sir James, an Sukos Fahrt zu dem Betongesicht und konnte mir vorstellen, dass er so etwas wie die Funktion eines Leibwächters übernommen hatte.
Auch dem Alten war die. Veränderung aufgefallen. »Du denkst nach, wie ich sehe.«
»Das allerdings.«
»Hast du nichts gewusst?«
»Nicht genug.«
»Ivana konnte dir nicht alles sagen. Sie hat dich nur gewarnt vor dem roten Phantom.«
»Ich kenne es.«
Der Alte lächelte listig und senkte bei der Antwort die Stimme zu einem Flüstern. »Ich weiß, dass es dich überfallen hat. Und, glaube mir, es hätte dich töten können, was aber nicht geschah. Ein Zeichen, dass wir nicht gegen dich und deine Arbeit sind. Du aber hast die Warnung nicht verstehen wollen. Es ist dein Pech, dafür wirst du büßen müssen, John Sinclair, Pech für dich.«
»Dann wollt ihr mich auch umbringen?«
»Ich kann es nicht entscheiden, denn ich bin nicht das rote Phantom, verstehst du?«
»Das kann ich mir bei dir auch nicht vorstellen.«
»Sei nicht zu lässig. Es gibt viele Dinge, die für einen Fremden unerklärlich sind, aber in die Philosophie unserer Sippen voll und ganz hineinpassen.«
»Wie das rote Phantom!«
Er nickte ernst. »Es ist unser Beschützer. Und es ist unser Rächer, sollte einem von uns je ein Leid geschehen. So und nicht anders sehen die Dinge hier aus.«
»Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis der Rachedurst des roten Phantoms gestillt ist?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich will es sehen.«
»Das weiß ich«, erklärte der Mann nickend. »Deshalb bist du ja zu uns gekommen.«
»Finde ich es in eurem Lager?«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Du wirst es sehen. Aber dann, wenn wir es wollen.«
»Was ist mit Ivana?«
»Du wirst sie ebenfalls sehen. Du hast den Weg gefunden. Und dies trotz aller Warnungen, denn du darfst nicht annehmen, dass wir Rücksicht kennen.«
»Ihr oder das Phantom?«
»Der alte Fluch.«
»Also das Phantom.«
»Ich war unhöflich zu dir und habe dir meinen Namen bisher nicht gesagt. Ich heiße Kirtu.«
»Darf ich fragen, wo deine Heimat liegt?«
Kirtu lächelte versonnen. »In der östlichen Ferne. Ich bin im gewaltigen Russland geboren, als der Zar dort noch herrschte. Vor der Revolution erblickte ich das Licht der Welt. Und meine Eltern zogen mit dem Stamm durch die Steppe Kirgisiens. Dort ist meine eigentliche Heimat. Ich aber sehe sie überall auf
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