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0657 - Der letzte Henker

0657 - Der letzte Henker

Titel: 0657 - Der letzte Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Abendlicht sah ich zwei Männer, die keine Harnische trugen, dafür aber Musketen schußbereit in den Händen hielten. Ein halbwegs elegant gekleideter Mann trat zwischen sie.
    Hinter ihm sah ich einen Indianer.
    Ich wußte sofort, daß er ein Calusa war. Er trug nur einen Lendenschurz und primitive Waffen, aber ich sah einige Tätowierungen auf seiner Haut. Er grinste mich an. Der Elegante deutete auf Krohn. »Mitkommen«, sagte er. »Weshalb?« fragte ich und trat einen Schritt vor.
    Etwas flog durch die Luft. Ich war zu überrascht, um rechtzeitig ausweichen zu können.
    Als ich wieder erwachte, warnte mich der Russe. »Sei vorsichtig, Väterchen. Nicht zu schnell bewegen. Wird dir schwindlig, wenn du aufstehst? Spürst du Schmerz?«
    Wenn er mich doch nicht immer Väterchen nennen würde! Aber es war seine Art, mir den Respekt zu zollen, der mir als Anführer der Expedition zustand. Die anderen duzten mich einfach nur so; nur der Colonel pflegte die formelle, höfliche Form der Anrede. Nach der langen Zeit bei Hofe und auch im Umgang mit französischen Soldaten und Offizieren mußte ich mich an lockere Umgangsformen erst wieder gewöhnen. Und die fünf Monate, die wir unterwegs waren, hatten wohl noch nicht gereicht, zweimal fünf Jahre zu überdecken.
    Aber da sie mich duzten, redete ich sie ebenso unformell an.
    Ich richtete mich langsam auf, tastete meine schmerzende Stirn ab. Ich fühlte getrocknetes Blut.
    »Er hat dich mit einer Wurfkeule erwischt, dieser verdammte Rote«, erklärte Igor.
    »Was ist mit Krohn?« wollte ich wissen.
    »Sie haben ihn mitgenommen.«
    »Warum?«
    »Weiß ich nicht. Sie haben nichts gesagt.«
    Im gleichen Moment hörte ich draußen einen Schrei. Das war Krohn. Er schrie nicht nur. Er brüllte. Das Brüllen wurde zum Kreischen. Und dann - war da nichts mehr. Nur noch Totenstille.
    ***
    Gegenwart: Sommer 1999
    »Erledigen Sie das«, hatte Sheriff Bancroft gesagt. Deputy Bannard fuhr also nach Sweetwater hinaus und fragte sich ernsthaft, was das sollte - ein halbes Auge auf Lucie Brenshaw halten und ein halbes auf die Stelle, wo der Kopf gefunden worden war.
    »Soll ich das Auge auseinanderschneiden?« hatte Bannard spöttisch gefragt.
    »Sie sollen nur beobachten«, grummelte Bancroft darauf.
    Als ob das nicht auch jemand anderer tun konnte! Zum Teufel, erstens hatte Bannard nicht die geringste Lust, zu tun, was er tun sollte, und zum anderen gab es schlechter bezahlte Leute, die das genauso gut erledigen konnten. Er empfand es als persönliche Schikane des Sheriffs, ausgerechnet ihn, Clive Bannard, für solche Aktionen abzukommandieren. Und das nur, weil Bannard es mal gewagt hatte, für einen Tag Urlaub zu beantragen, den Bancroft schon für sich vorgesehen hatte; Bannards größter Fehler war es gewesen, den Urlaubstag auch tatsächlich zu nehmen. Immerhin hatte er an dem Tag ja nur ein bißchen geheiratet, während Bancroft eine einmalige, großangelegte dreistündige Alligatorjagd geplant hatte. Die war natürlich sehr viel wichtiger.
    Oft genug hatte Bannard schon überlegt, ob er nicht einfach die Brocken hinschmeißen sollte. Seine Frau bestärkte ihn darin.
    Aber die Alternativen waren nicht sehr ermutigend; auch in Florida wuchsen Arbeitsplätze nicht auf den Bäumen. Und Bannard hatte nichts anderes gelernt als Polizeiarbeit.
    Also blieb er dabei und ließ sich schikanieren.
    Bannard beschloß, sich erst einmal am Fundort des Kopfes umzusehen. Um Lucie Brenshaw wollte er sich später kümmern.
    Er wußte nicht einmal genau, worauf Bancroft hinaus wollte mit seiner Anweisung, ein - halbes - Auge auf das Mädchen zu halten.
    Er stieg aus dem Dienstwagen und stellte fest, daß an diesem Fundort erst vor kurzer Zeit jemand gewesen war. Die Abdrücke im Gras und im hier etwas weichen Boden waren noch relativ frisch. Es mochte gerade eine Stunde her sein, nicht viel mehr.
    Bannard war sicher, daß er das richtig einschätzen konnte. Spurenlesen hatte ihn schon als Kind fasziniert, als er zusammen mit einem Seminole-Indianer zur Schule gegangen war.
    Es gab auch Reifeneindrücke. Die stammten offensichtlich von einem Geländewagen.
    Vielleicht interessierte sich Bancroft für genau diese Sache. Bannard griff zu seinem Handy, um den Sheriff anzurufen.
    Im gleichen Moment, als er die Rufnummer eintippte, tauchte jemand vor ihm auf.
    Er kam regelrecht aus dem Nichts. Ein muskelbepackter Hüne in dunkler Kleidung. Clive Bannard ahnte, daß ihm von diesem Mann Gefahr drohte. Er wich

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