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0657 - Der letzte Henker

0657 - Der letzte Henker

Titel: 0657 - Der letzte Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Stechmücken wetteiferten um die besten Plätze auf meinen Händen und meinem Gesicht. Ich richtete mich auf. Sofort war eine junge Frau bei mir, hielt mir eine Schale mit Wasser entgegen. »Trinkt, Herr«, bat sie.
    Das Wasser war warm. Ich schluckte es trotzdem und merkte erst jetzt, wie ausgetrocknet ich war. Seit wir gestern gefangengenommen worden waren, hatte ich weder etwas zu trinken noch zu essen bekommen. Ich war gewohnt, Entbehrungen zu ertragen, und der Zorn über die ungerechte Behandlung hatte mich die ganze Zeit über Durst und Hunger hinweggebracht. Jetzt aber merkte ich, wie es um mich stand. Ich brauchte mehr Wasser, und wenn möglich auch etwas zu essen.
    Ich erkannte die junge Frau sofort wieder. Es war jene, die Accosto hatte holen lassen, um sie mir gewaltsam zuzuführen. Sie hatte ein paar Stoff-Fetzen um ihren Leib gewickelt, aber die reichten kaum aus, auch nur das Notwendigste zu bedecken. Ich sah mich in dem spärlich eingerichteten Raum um und zwang mich einem Lächeln.
    »Empfangt Ihr jeden Eurer Besucher in diesem Aufzug?«
    »Oh, spottet nicht, Herr, bitte«, seufzte sie. »Ich hab’ doch nichts mehr, was ich anziehen kann! Woher soll ich’s nehmen? Wir sind arm, und der feiste Bastard nimmt uns alles; was wir uns mühsam erringen.«
    »Wer ist ›wir‹?« fragte ich. »Vater, Mutter und ich. Die Eltern sind auf dem Feld, arbeiten dort bis zum Einbruch der Dunkelheit, bewacht von den wilden Heiden. Wollt Ihr das ausnutzen, Herr?« Ich schüttelte den Kopf. Sie war, wenn man sich die Schramme im Gesicht wegdachte, sehr hübsch und sehr gut gewachsen. Ich kämpfte das Verlangen in mir nieder. Accosto, der Lump, hatte schon recht; wir alle waren wochenlang, monatelang ohne Frau gewesen. Aber es lag mir nicht, einfach zuzugreifen und das Recht des Stärkeren auszuüben. Wenn diese junge Schönheit mir beiliegen wollte, dann sollte sie es aus freiem Willen und aus Zuneigung tun, nicht, weil jemand sie dazu aufforderte oder gar zwang.
    »Ich werde Euch nicht berühren, wenn Ihr es nicht selbst wünscht«, versprach ich ehrlich. »Darf ich Euren Namen erfahren? Ich möchte doch wissen, wie ich meine schöne Samariterin anreden soll. Ich selbst heiße Robert - Robert deDigue.«
    »Soviel Ehre«, flüsterte sie. »Ich bin doch nur ein einfaches Mädchen, und Ihr redet mich an wie Euresgleichen, Herr. Das verdiene ich nicht.«
    »Jeder Mensch verdient es respektvoll behandelt zu werden, sofern er sich selbst wie ein Mensch benimmt - und nicht wie fleischgewordener zweibeiniger Rattenkot in prunkvoller Gewandung! Ihr seid böse erniedrigt worden. Was auch immer Accosto für Gründe hat, so mit Euch umzuspringen - ich werde es nicht akzeptieren. Ich werde ihn dafür bestrafen.«
    »Nein«, sagte sie leise. »Das könnt Ihr nicht, Herr. Habt Ihr nicht selbst seine Macht gesehen?«
    »Seine Macht? Die Macht eines eitlen Gecken? Dieser Indianer… er war der Mächtige. Er ist ein Hexenmeister, ein Zauberer. Accosto selbst besitzt keine wirkliche Macht.«
    »Aber alle müssen ihm gehorchen.« Sie erhob sich, ging und brachte mir dann einen trockenen Kanten Brot und einen Streifen Dörrfleisch. »Ihr solltet etwas essen, Herr. Ihr habt sicher gehungert. Jenen im Kerker gibt man nichts zu beißen.«
    Mir knurrte der Magen. Aber das, was sie mir anbot, war scheinbar alles an Eßbarem, was sich in der kleinen Hütte befand.
    Während wir sprachen, hatte ich mich weiter umgeschaut. Es gab zwei weitere Strohlager - für Vater und Mutter. Es gab eine kleine Feuerstelle, den Wasserkrug, einen Tisch und zwei Bänke. Nichts sonst. Keine Tür zu einer Vorratskammer, nur ein kleines Fenster ohne Glas, durch das ein Lichtbalken fiel und das Innere der kleinen Hütte mäßig erhellte. Es gab nur diesen einen Raum, und die Tür besaß keinen Riegel.
    »Mich hungert nicht«, sagte ich. »Ich danke Euch für die Gabe, aber ich kann sie nicht annehmen.« Schon gar nicht, wenn die drei armen Menschen anschließend selbst nichts mehr zu essen hatten!
    Als Zigeunerjunge hatte ich Armut und Hunger kennengelernt. Ich würde diese Zeit niemals vergessen, und wenn ich tausend mal tausend Jahre leben durfte. Damals hatte ich mir selbst geschworen, daß ich nie wieder arm sein wollte.
    Ich mußte reich werden. So reich wie möglich. Um andere an meinem Reichtum teilhaben zu lassen, damit auch sie nicht mehr hungerten.
    Ein weiterer Grund, mir einen Stützpunkt zu schaffen, den mir niemand nehmen konnte, wenn ich nach Avalen

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