0657 - Der letzte Henker
Schulter.
»Rob, wir sind im Laufe der letzten Jahre so etwas wie Freunde geworden, nicht wahr? Aber das wird mich nicht daran hindern, Sie wegen Straf Vereitelung belangen zu lassen und ins Loch zu werfen, wenn Sie Dinge wissen, die uns bei den Ermittlungen helfen können, diese Dinge aber verschweigen! Rob, ich bin Ihr Freund, aber ich bin auch Polizist! Wollen Sie mir die Arbeit und sich das Leben unbedingt schwer machen?«
Tendyke griff langsam nach der Hand des Sheriffs, nahm sie von seiner Schulter herunter - und drückte sie dann.
»Jeronimo, wenn ich recht habe, ist es etwas ganz Persönliches. Wenn ich unrecht habe, sind Sie am Zug.«
»Mord ist nie etwas ganz Persönliches!« protestierte Bancroft.
»Sie werden mich also festnehmen?«
Bancroft fühlte sich in die Enge getrieben. »Zwingen Sie mich nicht dazu, Rob!«
»Dann geben Sie mir noch etwas Spielraum.«
»Spielraum?« Bancroft runzelte die Stirn. Er hatte eigentlich erwartet, das Wort ›Zeit‹ zu hören. Daß Tendyke es nicht benutzte, brachte ihn aus dem Konzept.
»Danke«, sagte Tendyke, ehe der Sheriff etwas erwidern konnte. »Bitte, kann ich mir jetzt den Kopf ansehen?«
»Wenn Sie unbedingt kotzen wollen«, knurrte Bancroft und streckte den Arm in Richtung des schwarzen Autos aus, an dessen Hecktüren die weiße Schrift »Coroner« prangte.
Tendyke ging hinüber. Gerade wollten zwei Männer den Zinksarg schließen, dessen einziger Inhalt das einzige Überbleibsel Deputy Bannards war.
Tendyke warf einen Blick auf den Kopf.
Er wandte sich um und kehrte zu Bancroft und den anderen zurück.
»Das, Sheriff, ist jetzt mein Fall«, sagte er trocken.
***
Vergangenheit:
Warum dieser kleine Haufen von Menschen ausgerechnet hierher gekommen war, konnte oder wollte Conchita mir nicht erzählen. Aber Don Manfrede Accosto beherrschte sie alle. Was er befahl, war Gesetz. Er war tatsächlich Ankläger, Richter und Henker.
Er und der Calusa Ma-Chona waren ständig zusammen. Sie schienen enge Freunde zu sein. Dabei fürchteten die spanischen Siedler die Calusa. Und sie wußten nur zu gut, daß sie sich in einem feindlichen Land aufhielten. Die Calusa beherrschten alles, und irgendwie setzte Accosto sie auch als seine Truppen ein. Was er von Ma-Chona erbat, erhielt er auch. Conchita fürchtete den häßlichen alten Calusa offenbar noch mehr als Accosto selbst.
Schon allein deshalb, weil er ihr mit seinen Zaubertricks, aber auch mit seinem Aussehen unheimlich war!
Die Calusa waren die Herren dieses Landes, und sie töteten jeden, der es unbefugt betrat.
Daß das kleine Häuflein Spanier hier leben durfte, hing mit Accosto zusammen. Und mit der unheiligen Allianz zwischen ihm und Ma-Chona.
Ich erfuhr, daß meine Ankunft eigentlich ein Glücksfall für die Spanier war.
Die Calusa, die Menschenfresser, verlangten Opfer!
Diese Opfer hatten die Spanier zu erbringen als Preis dafür, daß ihnen die Calusa erlaubten, sich hier niederzulassen. Damit ihnen nichts entging, waren die Indianer überall präsent. Selbst bei der Feldbestellung. Als wir uns dieser Ansiedlung näherten, hatten wir weder Ackerbau noch Viehzucht gesehen, aber Conchita versicherte mir, daß es beides gäbe - in der entgegengesetzten Richtung. Dort arbeiteten gerade jetzt ihre Eltern und viele andere Bewohner dieser Palisadenfestung, beaufsichtigt von den Calusa. Die gaben darauf acht, daß niemand versuchte, sich heimlich davonzumachen.
»Jeder von uns ist für sie ein Stück Nahrung«, sagte Conchita bitter. »Sie betrachten uns wie Vieh. Nur Don Manfredo besitzt eine Ausnahmestellung und damit auch die absolute Macht. Er entscheidet darüber, wen die Calusa fressen dürfen! Wenn jemand von uns nicht gehorcht, sich ihm entziehen will, sich gegen ihn erhebt - derjenige ist des Todes. Wenn ihn nicht Don Manfredos Soldaten niedermachen, sorgen die Calusa dafür. Deshalb wagt es niemand, die Hand wider Don Manfredo zu erheben. Wer es tut, wird unweigerlich ein Opfer der Kannibalen. Sie sind viel mehr als wir, und sie haben Waffen.«
»Aber Ihr habt Euch gewehrt«, erinnerte ich sie. »Ihr habt gekämpft. Hattet Ihr keine Furcht, man würde Euch deshalb töten?«
»Vielleicht«, sagte sie, »ist der Tod besser, als unter dieser Gewaltherrschaft zu darben. Aber ich wurde nicht getötet. Wenn Ihr mit Euren beiden Begleitern nicht hier wäret, dann vielleicht. Dann hätte Don Manfrede mich den Wilden zum Fraß vorgeworfen, nachdem er seinen Spaß an mir hatte… Doch jetzt sind
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