0658 - Flug in die Dunkelwolke
Allein daraus ergab sich von selbst die Notwendigkeit, daß einer der Emotionauten als Pilot fungieren müsse, denn niemand sonst war in der Lage, die komplizierte Maschinerie des riesigen Raumschiffs in so kurzer Zeit weisungsgemäß zu manipulieren.
Um acht Uhr fünfunddreißig am 30. April 3459 allgemeiner Zeitrechnung nahm die MARCO POLO von neuem Fahrt auf. Ihr Kursvektor wies geradeswegs auf die drohende Wand der Dunkelwolke zu. Ein kurzer Linearsprung brachte das mächtige Fahrzeug in die Randzone der wirbelnden, mahlenden Staubmassen. Im Kommandostand befanden sich nur die Leute, die unbedingt gebraucht wurden. Jede überflüssige Funktion, wie zum Beispiel die des Mannes, der Verbindung mit dem Kommunikationszentrum hielt, war eliminiert worden. Es kam jetzt nur noch darauf an, daß die beiden Vincraner in ihrem Bemühen, sich auf die Energieströme der Dunkelwolke zu konzentrieren, nicht gestört wurden.
Mentro Kosum auf der einen, Tastir und Testur auf der anderen Seite hatten einen Code miteinander vereinbart, der den Umfang der notwendigen Kommunikation auf ein Mindestmaß herabsetzte. Was die Vincraner dem Piloten lieferten, war ein dreidimensionaler Beschleunigungsvektor, oder anders ausgedrückt: eine Zahlengröße und drei Richtungskosinusse.
Der Code war so ausgeprägt, daß für jedes der vier Bestimmungsstücke nur eine einziffrige Zahl angegeben zu werden brauchte. Vier Zahlen ließen sich, wenn man schnell genug sprach, innerhalb von wenig mehr als einer Sekunde herunterrasseln. Tastir und Testur, die ansonsten über ihre Fähigkeiten nur wenig verlauten ließen, gaben an, daß sie nur unter besonders ungünstigen Umständen Veränderungen der Energieströme nicht wenigstens zwei Sekunden im voraus erkannten. Sie ließen sich allerdings nicht darüber aus, was sie unter „besonders ungünstigen Umständen" verstanden und wie oft solche auftraten.
Das Bild auf der Panoramagalerie des Kommandostands ließ keinen Zweifel daran, daß die MARCO POLO bereits in die Dunkelwolke eingedrungen war. Verschwunden war der glitzernde, bunte Sternenteppich des Milchstraßenzentrums. Nur einzelne, besonders nahe oder leuchtstarke Sonnen waren noch zu erkennen.
Immer noch bewegte sich das riesige Flaggschiff mit beachtlicher Geschwindigkeit. Auch die Lichtflecke der hellsten und nächsten Sonnen waren bald verschwunden, und abgrundtiefe Dunkelheit hüllte die MARCO POLO ein. Tastir und Testur hatten sich bislang nur selten zu Wort zu melden brauchen. Jetzt jedoch kamen ihre Anweisungen in rascherer Reihenfolge.
„... sechs... drei... fünf... acht...!"
Vor Mentro Kosum bewegten sich die Schalter auf der Konsole wie von Geisterhänden betätigt. Der Emotionaut hatte die schwere SERT-Haube über den Schädel gezogen. Sie übermittelte seine gedanklichen Impulse unmittelbar auf die Schaltkreise der Konsole und ermöglichte ihm dadurch, Schaltungen in Bruchteilen von Sekunden durchzuführen.
Im Zickzack bewegte sich das riesige Raumschiff durch die wirbelnden Staubmassen der mörderischen Dunkelwolke. Eine eigenartige Atmosphäre herrschte im Kommandostand. Wo sonst geschäftige Betriebsamkeit an der Tagesordnung war, da regierte jetzt Stille, untermalt nur von dem Summen elektronischen Geräts.
Durchbrochen wurde das Schweigen nur von den Anweisungen der beiden Vincraner, die sich gegenseitig ablösten.
„... zwo... vier... sieben ... vier...!" rief Tastir.
Sekunden später meldete sich, mit hohem, schrillem Organ, sein Genosse Testur: „... sieben ... sieben ... null... eins...!"
Einmal gab es eine längere freie Strecke, so daß es sich für die MARCO POLO lohnte, in den Linearraum einzutauchen und sich in überlichtschnellem Flug zu bewegen. Das Merkwürdige an der Sache war, daß die beiden Vincraner selbst im Linearraum ständig darüber informiert waren, welche energetischen Verhältnisse draußen im Einstein-Kontinuum herrschten. Die Anweisung, den Linearflug abzubrechen, kam kurz und hastig, als stehe drohende Gefahr unmittelbar bevor.
Die Stunden flössen rasch dahin. Die Spannung, die die Männer im Kommandostand während dieses Irrflugs durch die Dunkelwolke in ihrem Bann hielt, war so allumfassend, daß Minuten zu Sekunden und Stunden zu Minuten zu schmelzen schienen. Niemand hatte Zeit, sich darüber Rechenschaft abzulegen, daß die MARCO POLO bereits seit einem Vierteltag unterwegs war, wo doch jeder meinte, sie sei erst vor ein paar Minuten auf Fahrt gegangen.
An der Konsole im
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