066 - Das Tor zur Hölle
Tempel, die Säulen und
Reliefs, die Götterdarstellungen. Ich fand gewisse Ähnlichkeiten mit einigen
bizarren Gestalten hier auf diesem Block. Aber die Ähnlichkeit war keine
Gleichheit. Die zweite und dritte Reise machte ich gemeinsam mit Arlidge. Die
besten Aufnahmen von den alten Tempelstädten entstanden, die die Welt je
gesehen hat. Der Bildband, den Arlidge und ich herausbrachten, war ein
ästhetischer Genuß. Aber unsere Forschungen liefen nicht in die Richtung, die
mir vorschwebte. Irgendwo steckte ein Fehler in meinen Überlegungen. Nach der
Rückkehr von meiner dritten Reise stellte ich neue Gedanken an. Und dann kam
ich darauf: Ich mußte Machu Picchu nur als Ausgangspunkt nehmen! Machu Picchu selbst
war uninteressant für mich, sagte ich mir. Die Stadt war alt, aber sie war
nicht so alt wie dieser Stein hier und wie die Hinweise auf jenen Ort, wo Machu
Picchu zu einem viel späteren Zeitpunkt erbaut worden war. Meine vierte Reise
nach Machu Picchu unternahm ich allein und aufgrund völlig neuer
Gesichtspunkte. Ich suchte Kontakt zu den scheuen Hochland-Indios. Und dort
erhielt ich den entscheidenden Tip! Meine Kenntnisse von diesem Block öffneten
mir die Türen zu einer Indiogruppe, wie sie Außenstehenden nicht
bekanntgeworden sind. Es sind die Wächter, die das Tor zur Hölle im Auge
behalten, um Rha-Ta-N'mys Rückkehr zu melden.«
»Es wird immer komplizierter! Aber zum Glück bin ich mit
einem aufnahmefähigen Geist ausgestattet, der es mir ermöglicht, trotz allem
mitzukommen«, brummte Duffrean. »Ich hatte zwar einiges erwartet, aber nicht
das, das muß ich ehrlich zugeben. Und dann kam Ihre fünfte und letzte Reise?
Zum Tor zur Hölle. Und diesmal nahmen Sie Arlidge mit.«
»Ja. Ich wollte die Welt mit den Bildern des besten
Fotografen einfangen. Und meine Frau nahm ich mit, weil ich damit ein
Versprechen einlöste, das ich den Wächtern bei meiner vierten Reise gegeben
habe: ich selbst mußte das Opfer bestimmen, das zum gegebenen Zeitpunkt bereit
sein mußte, um Gorho den Willkommensgruß zu entbieten. Lady Elisabeth bot sich
als Lösung an. Sie war über das Geheimnis in diesem Haus unterrichtet und war
keine Außenstehende. Und sie selbst war interessiert daran, den alten Mythos
mit neuem Leben zu erfüllen.« Bramhills Stimme klang leise und geheimnisvoll,
als er von diesen Dingen sprach.
»Und nun haben Sie alles gesehen«, fuhr Bramhill kurz
darauf fort, während Duffrean mit seiner Spezialkamera Aufnahmen von der
unterirdischen schwarzen Kammer und dem rätselhaften quadratischen Block
machte.
»Gesehen ja«, sagte Duffrean beiläufig, und drehte den
Film weiter. »Aber nicht erfahren! Wie kam Arlidge ums Leben?«
»Ein Unfall. Er wollte Aufnahmen vom Tor zur Hölle
machen. Ein Steg führt über einen gigantischen Abgrund. Diese Felsenbrücke kann
nur überschreiten, wer absolut schwindelfrei ist. Ich sah Arlidge stürzen. Mit
ihm verschwand die Kamera in der Tiefe, und alle Aufnahmen, die er gemacht
hatte, wurden vernichtet.«
»Sie wollen mir doch nicht weißmachen, daß Arlidge vorher
nicht eine einzige Aufnahme gemacht hat, Lordchen? No, das können Sie mir nicht
erzählen! Darüber werden wir uns später noch eingehender unterhalten. Aber erst
will ich mal ein paar Bilder knipsen. Diese Seite auf dem Altar ist
hochinteressant.
Die einzelnen Götzenbilder sind im Halbkreis um ein
torbogenähnliches Gebilde gruppiert. Schreckliche Gestalten, was?
Man kriegt's direkt mit der Angst zu tun.«
Jede der unheimlichen Götzenfiguren war mit einem großen,
bizarr verformten Schädel versehen. Die Köpfe waren breit und flach, hatten
Ähnlichkeit mit Schlangen- und Drachenköpfen.
Die Körper dagegen wirkten klein und zerbrechlich auf
dünnen, stelzenartigen Gliedern. Die nackten Füße liefen in Krallen aus, wie
sie bei einem Geier üblich waren.
»Ist Ihnen schon aufgefallen, daß die Götzenfiguren wie
Bausteine wirken, Lordchen?« Jede Figur war etwa fünfzig bis sechzig Zentimeter
hoch und in einem mit Symbolen und fremdartigen Zeichen versehenen Rechteck
umgeben, das eine Art Rahmen bildete. Aber nicht alle Rahmen waren mit
Schreckens- und Fabelgestalten ausgefüllt. Viele waren noch frei, als hätte der
unbekannte Künstler hier keine Einfälle mehr gehabt, als hätte seine Phantasie
ihn verlassen. Oder es gab ein unvollendetes Werk, und der Künstler hatte seine
Arbeit nicht abschließen können.
Siedendheiß pulste das Blut plötzlich durch seinen
Körper.
George P.
Weitere Kostenlose Bücher