066 - Das Tor zur Hölle
plötzlich?« wunderte Charles sich
»Es ist seit Wochen schon geplant«, sagte Bramhill
beiläufig.
»Das Hotel war schon bestellt. Aber Lady Elisabeth war
sich nicht ganz schlüssig darüber, ob sie wirklich in die Schweiz fliegen
sollte oder nicht. Sie wollte mich nicht gleich nach der Rückkehr allein
lassen. Aber heute morgen hat sie sich doch dazu entschlossen, die Kur
anzutreten. Ich fürchte, Lady Elisabeth ist sehr krank«, fügte er sinnend
hinzu. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe.
»Diesen Eindruck hatte ich auch. Ich bin erschrocken, als
ich sie gestern abend sah, Sir«, befreite Charles sich endlich von den Gedanken
die ihn die ganze Zeit über schon beschäftigt hatten.
»Ums Essen brauchen Sie sich nicht zu kümmern, Charles.
Aunt Nelly, eine Tante meiner Frau, kommt und wird uns
unter die Arme greifen. Ich werde jetzt meinen morgendlichen Spaziergang
nachholen, der sich durch die Abreise von Lady Elisabeth etwas verschoben hat.«
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Die beiden
Hunde kamen von draußen. Sie rochen das Fleisch, das der Butler auspackte.
Schnüffelnd zwängten sie sich durch die Tür. Erst der
eine, dann der andere.
Mechanisch griff Bramhill nach einem der Tiere, um ihm
über den Kopf zu streicheln.
Der Kopf flog herum, und der Hund schnappte nach der
Hand!
Blitzschnell zog Bramhill seine Hand zurück.
Entgeistert starrte der Butler seinen Herrn an, dann den
Hund, der knurrend und böse bellend rückwärts aus der Tür ging.
»Was ist denn jetzt passiert?« Beinahe sah es so aus, als
verlöre der Butler seine Fassung.
»Seit ich zurück bin, verhalten sie sich mir gegenüber
feindselig.« Bramhill blickte finster. »Was sie bloß gegen mich haben?
Vielleicht sind sie krank?«
Charles zuckte die Achseln. »Ich kann mir das nicht
erklären, Sir«, sagte er leise.
»Ich werde sie mitnehmen, wenn ich spazierengehe.«
Er zog nur eine Lodenjacke über und griff dann nach dem
Jagdgewehr, das er durchlud. Charles kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Falls ich mich meiner Haut erwehren muß«, sagte Lord
Bramhill knapp und Butler Charles eilte an ihm vorüber, um die Tür zu öffnen.
Mit dem gewohnten Befehl lockte Bramhill die beiden riesigen Hunde aus dem Haus
Nur widerwillig folgen sie ihm und mieden seine Nähe.
Bramhill stapfte mit dem geschulterten Gewehr in den
Wald.
●
Die Haushälterin, die für die Zeit von Ignaz Mrowskys
Anwesenheit auf der Farm angestellt war, wälzte sich unruhig im Bett.
Clementine Wells seufzte.
Sie tastete nach dem Lichtschalter und knipste die Lampe
an.
Heller Schein blendete sie. Nach mehrmaligem Blinzeln
hatten sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt, und sie sah deutlich das
Zifferblatt des vorsintflutlichen Weckers.
Vier Uhr. In einer Stunde spätestens würde es hell sein.
Clementine Wells schob die Decke zurück. Ihr war heiß,
obwohl sie das Fenster weit geöffnet hatte.
Die achtundvierzigjährige Frau konnte nicht verstehen,
daß sie nun schon zum vierten Mal in dieser Nacht auf die Uhr schaute. So
schlecht hatte sie lange nicht geschlafen.
Immer wieder war sie nur oberflächlich eingenickt, und im
Halbschlaf glaubte sie dann seltsame Geräusche, dunkle, dumpfe Stimmen und
heiseres Krächzen wahrzunehmen.
Hatte sie so schlecht geträumt? Hingen Unruhe und
Schlaflosigkeit damit zusammen, daß dies die erste Nacht in einem fremden Haus
und einem fremden Bett war?
Sie stand auf und ging barfuß über den hölzernen Fußboden
zu dem weit geöffneten Fenster.
Tief atmete sie die frische, saubere Luft ein.
Clementine Wells starrte hinauf zu dem klaren Sternenhimmel
und hatte das Gefühl, allein auf der Welt zu sein.
Schon ärgerte sie sich nicht mehr, daß sie so schlecht
geschlafen hatte.
Die Ruhe und diese Umgebung versöhnten sie. Da war es
egal, ob sie jetzt wachblieb und den Tagesanbruch abwartete oder nicht. Wenn
sie sich heute mittag dann eine Stunde hinlegte fand sie auch Ruhe. Dies hier
war keine Arbeit, wie sie in all den Jahren als Angestellte des
Innenministeriums von ihr verlangt worden war.
Clementine Wells war die Witwe eines hohen Geheimagenten,
der vor drei Jahren bei einer Schießerei sein Leben verloren hatte.
Wie ihr Mann, so war auch Clementine Wells vor fünfzehn
Jahren in den Staatsdienst getreten, hatte als Kontaktperson zu
Rauschgifthändlerinnen ebenso fungiert wie als Inhaberin eines getarnten
Spielklubs oder als Chefin eines Freudenhauses.
Immer hatte sie ihre Aufgabe mit
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