066 - Marionetten des Satans
fast allen Proben wurde gelacht und gescherzt, bevor die Arbeit begann, aber hier herrschte feierliche Stille.
Lou Davilla nahm wieder Platz und klatschte in die Hände.
„Gut, wir fangen an. Ich möchte Ihnen etwas sagen, bevor wir mit der Leseprobe beginnen. Erstens werden Sie alle eine Zeitlang zusammenarbeiten, nicht nur in diesem Stück, sondern auch in anderen. Das bedeutet Rivalität, persönliche Konflikte – aber Ressentiments jeder Art müssen ausgeschaltet werden, sobald sie entstehen. Wir spielen Ensembletheater, kein Startheater, und so ist das Miteinander das Wichtigste. Und jetzt zum Stück. Es ist sehr gut geschrieben. Es beginnt ganz harmlos, und die Personen können Ihnen täglich auf der Straße begegnen. Erst gegen Ende des Stückes erfahren wir, daß sie Hexen und Dämonen sind. Langsam steigert sich die Handlung zum schrecklichen Höhepunkt, wo die junge Novizin, die Ungläubige, geopfert wird. Ich sage Ihnen das, weil Sie alle versucht sein werden, schon von Anfang an unheimlich aufzutreten. Das will ich nicht. Bewegen Sie sich am Anfang ganz realistisch. Heute wollen wir nur ganz einfach das Stück lesen, die Geschehnisse auf uns wirken lassen. Nuancen können wir später finden. Haben das alle verstanden?“
Sie nickten.
„Nun, dann fangen wir an.“ Lou Davilla öffnete sein Manuskript, und die Schauspieler griffen nach den Kopien, die vor ihnen auf dem Tisch lagen.
„Erster Akt“, sagte Davilla. „Zeit: Gegenwart. Ort der Handlung: ein Bekleidungsgeschäft in New York. Kleider, Unterwäsche, Schuhe und so weiter. Im Hintergrund führt eine doppelte Glastür auf die Straße. Rechts eine Tür, die in einen Nebenraum führt, in dem sich der zweite Akt abspielt. Links eine Tür ins Freie, dem Schauplatz des dritten Aktes. Beim Öffnen des Vorhangs ordnet Vanessa Smith Kleider auf einer Stange …“
Lou Davilla zeigte auf Kate Winsor.
„Jetzt öffnet sich die Glastür, und Julie tritt ein.“
Der erste und der zweite Akt wurden gelesen, dann legte Davilla eine Pause ein. Julie erhob sich, müde und überanstrengt, aber sehr zufrieden. Die Rolle war großartig, mit vielen Ausdrucksmöglichkeiten. Ihr Blick wanderte zu Lou Davilla, und sie fühlte Dankbarkeit in sich hochsteigen, weil er ihr diese Rolle angeboten hatte. Er lächelte und nickte ihr aufmunternd zu. Sie gewann ein neues Bild von ihm. Er erwies sich nicht nur als instinktsicherer Direktor, sondern auch als großer Regisseur, wovon sie sich während der Probe mehrmals hatte überzeugen können. Er besaß einen sicheren Geschmack und ein ebenso sicheres Gefühl für Wirkungen.
Sie hatte mehr oder minder unbewußt die Begabungen ihrer Kollegen taxiert und wußte, daß sie sie alle überflügeln konnte – alle außer Kate Winsor. Diese blasse Schauspielerin war äußerst routiniert und wußte ihre Fähigkeiten wirksam einzusetzen. Schon während dieser ersten Probe hatte sie sich nicht gescheut zu versuchen, Julie schon bei der ersten Leseprobe an die Wand zu spielen. Julie erkannte, daß dies eine ganz offene Herausforderung war. Es geschah so offensichtlich, daß Lou Davilla sich mehrmals an sie wandte und sie bat, das Herausstreichen ihrer Partie zuungunsten Julies zu unterlassen. Kate hatte sich entschuldigt, aber Julie hatte den verborgenen Haß der Frau gespürt, als diese sie mit ausdruckslosen Augen ansah.
Eine verschwommene Erinnerung stieg vor ihr auf. Wo waren solch unsichtbare Strahlen des Hasses ihr schon einmal begegnet? Wann?
Dann fiel es ihr ein. Damals, als sie den Garten durchquert und zu dem Garderobenfenster hochgeblickt hatte.
Als Lou Davilla die Pause ankündigte, ging Kate rasch auf ihn zu. Julie konnte nicht hören, was gesprochen wurde, aber sie sah Kate eindringlich auf Davilla einreden und diesen den Kopf schütteln. Julie erkannte, daß von ihr die Rede war, weil Kate einmal den Kopf wandte und in ihre Richtung blickte. Auch Davilla sah sie an und lächelte ihr zu. Kate ging ärgerlich zu George und verließ mit ihm das Theater.
Auch Julie wollte gerade gehen, als Davilla auf sie zukam.
„Ich habe ein paar Sandwiches für uns bestellt. Ich möchte einiges mit Ihnen besprechen. Hoffentlich haben Sie nichts anderes vor.“
„Nein – ich wollte nur auf einen Sprung zum Haus gehen, aber das kann warten.“
„Gut.“
„Es tat mir leid, Lou, daß Sie Kate vor dem Ensemble zurechtwiesen. Das war recht hart für sie. Sie muß mich jetzt ja geradezu hassen.“
„Machen Sie
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