066 - Marionetten des Satans
Verabredung absagen müssen, Julie. Merry können Sie zu keiner anderen Zeit mehr treffen. Sie können Mr. Abel von hier aus anrufen. Ich bat Merry, drei Kostüme für Sie herauszusuchen. Ich möchte, daß Sie im ersten Akt sportlich gekleidet sind, ein wenig maskulin, um die noch ungestörte Festigkeit Ihres Charakters zu unterstreichen. Im zweiten Akt, wenn Sie langsam schwächer werden, tragen Sie etwas Feminineres. Und im dritten Akt, in der Opferszene – darüber habe ich lange nachgedacht. Es wäre sehr interessant, wenn Sie ganz in Weiß gekleidet wären, in weiße Spitze. Vielleicht mit langer Schleppe. Ich stelle mir ein Kleid vor, das sowohl als Abendkleid angesehen werden, aber symbolhaft auch als Hochzeitsrobe interpretiert werden könnte. Ja – ein Hochzeitskleid für die Braut des Satans. Ein wundervoller Gedanke …“
Julie hörte nicht mehr zu. Ein Klicken in ihrem Innern, ein seltsamer Nebel – und so rasch wie er gekommen war, verflüchtigte er sich wieder, wieder ein Klicken …
„Merry hat verschiedene Sachen bereitgelegt, und Sie können Ihre Wahl treffen.“ Er nahm einen Zettel aus der Westentasche. „Sie wird im Plymouth Dress House sein, Seventh Avenue, 732. Fragen Sie dort nach ihr. Schreiben Sie sich die Adresse auf. Wenn Sie sich beeilen, kommen Sie noch zurecht.“
Gehorsam griff sie nach einem Bleistift, automatisch notierte sie sich die Adresse, mechanisch nickte sie. Noch immer klickte es in ihrem Inneren …
„Was ist, Julie? Sie sehen so blaß aus?“
„Nichts …“ Ihre eigene Stimme klang fremd in ihren Ohren. Immer schneller klickte es in ihr, und plötzlich wußte sie, wie das Kleid aussehen würde, das Merry ihr als Hochzeitskleid präsentieren würde. Irgend etwas geschah rings um sie. Etwas, das sie nicht verstand. Und mitten in all diesen Zweifeln und Phantasien stand Lou Davilla. Er war der Pol, um den sich alle seltsamen Ereignisse drehten. Das war gewiß.
Aber was war es, das mit ihr geschah? Sie versuchte nachzudenken, aber ihr Kopf brauste, ihr Verstand war zu umnebelt, um klar denken zu können.
Sie wußte nur, daß sie mit schrecklicher Unvermeidlichkeit in irgendwelche Netze geriet. Es war ihr, als würde sie jemand in einen Abgrund stoßen, sie stürzte, und hatte gar nicht den Wunsch, den Fall aufzuhalten. Wie in Trance hörte sie Lou Davillas Stimme.
„Beeilen Sie sich, Julie.“
„Ja, ich gehe …“ Ihre Beine waren schwer, als sie zur Tür ging.
„Wollen Sie vorher nicht noch Mr. Abel anrufen und Ihre Verabredung absagen?“
Ein letzter Rest von Vernunft sagte ihr, ihn anzuschreien.
Nein! Ich werde nicht absagen! Ich werde ihn sehen!
Aber sie konnte nicht gegen die Übermacht ankämpfen, deren Befehlen sie gehorchen mußte. Sie ging zum Telefon und hob den Hörer ab. Mechanisch wählte sie Mikes Nummer. Lou kramte in seinen Papieren.
„Mike? Hier ist Julie“, sagte sie, als er sich meldete.
„Das mußt du mir nicht erst sagen“, erwiderte er lachend. „Ich fühle schon, wenn das Telefon klingelt, ob du es bist oder nicht. Wie geht es dir? Wie war die Probe?“
Es tat so gut, seine Stimme zu hören. Sie schöpfe neue Kraft.
„Gut.“ Sie spürte, daß Lou Davilla, obwohl er in seine Arbeit vertieft schien, aufmerksam zuhörte.
„Ich bin froh, daß du anrufst, Julie. Ich habe heute schon mindestens achtmal versucht, dich zu erreichen. Wußtest du, daß dein Telefon kaputt ist?“
„Nein, das wußte ich nicht.“
„Dann kümmere dich darum. Julie, ich wollte dich anrufen, weil es erst hieß, die Konferenz würde verschoben. Jetzt findet sie aber doch um sieben statt, und es bleibt bei unserer Verabredung um fünf Uhr dreißig.“
„Es tut mir leid, Mike. Es geht heute abend nicht. Deshalb rufe ich an.“
„Meinst du das im Ernst?“
„Ja, Mike, ich muß mich um meine Kostüme kümmern.“
„Das dauert doch nicht den ganzen Abend.“
„Doch, Mike.“
„So ein Unsinn! Hast du denn überhaupt keine Freizeit mehr? Um Gottes willen, Julie, du mußt doch etwas essen! Nur zum Abendessen, Julie. Ich möchte dich unbedingt sehen.“
Ja, Mike! Wollte sie hinausschreien. Ich will dich auch sehen! Ich muß dich sehen! Ich brauche dich! Aber sie sagte nichts.
„Julie, was ist?“
„Was …“
„Deine Stimme kling so komisch. Geht es dir wirklich gut?“
„Doch, wirklich.“
„Du bist so einsilbig. Bist du nicht allein?“
Sie wußte, daß Lou noch immer zuhörte, obwohl sie ihm jetzt den Rücken zuwandte.
Weitere Kostenlose Bücher