066 - Marionetten des Satans
Sie wollte sich alle ihre Zweifel, Ängste, seltsamen Phantasien und Alpträume vom Herzen reden, aber das war unmöglich.
„Nein“, erwiderte sie niedergeschlagen.
„Ist Davilla bei dir?“
„Ja.“
Sie spürte, wie Mike am anderen Ende der Leitung erstarrte.
„Jetzt verstehe ich. Der Bastard will uns wohl absichtlich auseinander bringen. Wußte er, daß du mit mir verabredet warst?“
„Es ist nicht so, wie du denkst, Mike. Ich muß nur zu der Anprobe gehen. Ich rufe dich später an. Wirst du daheim sein?“
„Ja, ich warte auf deinen Anruf.“
„Also, bis später.“
Julie hörte ihn noch sagen: „Sei vorsichtig, Liebling!“ Dann legte sie langsam den Hörer auf die Gabel.
„Der junge Mann ist wohl sehr verärgert“, sagte Davilla lächelnd. „Es tut mir leid, daß ich ihm das antun muß, Julie, aber im Augenblick geht die Arbeit vor.“
„Ja, natürlich.“ Sie fragte sich, ob sie das wirklich glaubte … Sie blickte Lou an.
„Könnten Sie mir einen Gefallen tun, Lou? Mein Telefon ist kaputt. Würden Sie bitte die Störungsstelle anrufen, damit sie jemanden schicken?“
„Gern, Julie. Ich werde das sofort erledigen.“
Julie fühlte sich zu elend, um mit der Bahn zu fahren. Sie nahm sich ein Taxi. In der Seventh Avenue stieg sie aus, bezahlte den Fahrer und betrat das Gebäude der Plymouth Dresses.
Im Lift lehnte sie sich gegen die Wand. Warum war sie so schläfrig, so benommen? Warum weigerte sich ihr Verstand zu arbeiten?
Sie stieg aus dem Lift, holte tief Luft und drückte auf den Klingelknopf neben dem Schild‚ Plymouth Dresses’. Ein Summen ertönte, und sie öffnete die Tür.
„Bitte?“ fragte ein junges Mädchen in einem Glaskasten.
„Ich möchte zu Merry Roberts. Ich bin Julie Wallace.“
Sah das Mädchen sie nicht irgendwie merkwürdig an?
„Oh, ja! Sie erwartet Sie schon. Setzen Sie sich, bitte. Ich rufe sie an.“ Das Mädchen wies auf die Bänke, auf denen wohl sonst die Kunden saßen und sich Modelle vorführen ließen.
Ein paar Minuten später öffnete sich eine Hintertür, und eine kleine Frau erschien. Ihr Haar war extrem kurz geschnitten. Eine lange Adlernase beherrschte das winzige Gesicht.
„Julie? Hallo! Ich bin Merry Roberts. Ich freue mich über Ihre Pünktlichkeit. Kommen Sie, meine Liebe.“
„Hallo.“ Julie schreckte vor der geballten Energie, die diese winzige Person ausstrahlte, ein wenig zurück.
„Ich habe hinten eine kleine Garderobe, wo Sie die Kleider probieren können. Fangen wir gleich an.“ Sie nickte Julie zu, und diese erhob sich gehorsam und folgte Merry Roberts durch die Schwingtüren. Sie gingen einen Korridor entlang. Links und rechts hingen unzählige Kleider an Stangen. Der Garderoberaum war so klein, daß sie beide kaum Platz darin fanden. Ein langer Spiegel hing an einer Wand, und an einem Garderobenständer sah Julie ein Dutzend Kleider.
„Wir beginnen mit dem sportlichen Kostüm. Ich habe ein paar nette Kleider herausgesucht. Sie können alle anprobieren.“ Merry Roberts hielt ein Kleid nach dem anderen hoch. „Aber ich glaube, dieses hier würde am besten passen.“ Sie reichte ihr ein sehr geschmackvolles, blauweißes Kostüm. „Das würde auf der Bühne hervorragend wirken.“
Sie hatte recht, das mußte Julie zugeben. Es erstaunte sie, daß diese kleine Frau in dem formlosen Rock, mit der dreireihigen Perlenkette und den langen, baumelnden Ohrringen, einen so guten Geschmack hatte.
„Wollen Sie einmal hineinschlüpfen?“
Mechanisch begann Julie mit der Anprobe.
„Sie sehen großartig aus, Julie. Mit passenden Schuhen werden Sie geradezu unschlagbar sein. Gefällt es Ihnen?“
„Sehr hübsch.“
„Dann sind Sie also mit diesem Kostüm einverstanden?“
„Ja …“ Warum fiel ihr das Sprechen so schwer?
„So, und jetzt suchen wir etwas für den zweiten Akt.“ Sie zeigte auf mehrere buntbedruckte Seidenkleider und zog dann ein hellblaues, sehr elegantes Seidenkleid hervor, das am Ausschnitt gerafft war und sehr feminin wirkte. „Mir persönlich gefällt dieses hier am besten. Der Schnitt ist hervorragend, und der Rock schwingt bei jedem Schritt mit.“
Ja, Merry Roberts hatte wirklich einen hervorragenden Geschmack, dachte Julie, als sie das Kleid über den Hüften glattstrich.
„Sehen Sie? Ich hatte recht. Sie sehen göttlich aus. Sie sind also damit einverstanden?“
Julie nickte. Wenn nur diese verdammte Anprobe bald vorüber wäre! Sie fühlte sich so erschöpft, daß sie
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