0663 - Das Unheil erwacht
würde.
Und das Geräusch blieb.
Lauter jetzt, gefährlicher…
Die pechschwarzen Wände der Zelle bewegten sich von vier Seiten auf die Frau zu. Sie dachte an keine Erklärungen, sie nahm es einfach hin und wusste auch nicht, ob es einen Ausweg für sie gab. Und weiter nahm der Druck zu.
Es war nicht der Druck des Unsichtbaren, der sie einkesselte. Von dem für sie nicht sichtbaren Ei strömte diese wahnsinnige Todesgefahr aus, die tief in ihre Psyche drang.
Vor ihren Augen zersplitterte das Glas der Brille. Zuerst bekamen sie Risse, die sich nach einem erneuten Druck verstärkten und dann aus dem Rahmen platzten.
Almas »Augen« wurden sichtbar.
Nein, es waren keine gewöhnlichen Augen. Was in den Höhlen zu sehen war, konnte nur mehr als blasse Fläche bezeichnet werden, einem Vorhang ähnlich.
Keine Pupillen, nur diese erschreckende Bleichheit, und dann dieser wahnsinnige Druck.
Zum ersten Mal schrie sie.
Einen Moment später schwebte das Ei vor ihr in die Höhe, weil es bereit sein musste, den Blutstrom aufzunehmen, der aus den Augen der Frau auf den Gegenstand zuschoss…
***
Der Schrei war nicht ungehört geblieben!
Jade hatte ihn vernommen und war zusammengezuckt, wie von einem mächtigen Peitschenschlag getroffen.
Sie drückte ihren Körper zur Seite, dem Kopf nach unten, sie zitterte, sie spürte den Schweiß und das rasende Herzklopfen.
Es war passiert, ja es war passiert. Ihr Fund hatte den Keller hinter sich gelassen und den Weg in die Küche gefunden, wo die Mutter sicherlich saß und auf Jade wartete.
Es blieb bei diesem einen Schrei. Nicht einmal ein Jammern und Stöhnen war zu hören.
Wenn die Mutter ihr Leben verloren hatte, dann war sie lautlos gestorben.
Dieser Gedanke hätte Jade erschrecken müssen. Sie nahm ihn einfach kalt hin, ein Zeichen, wie tief sie unter dem Einfluss dieses verfluchten Eis steckte.
Larry hatte davon gesprochen, durch den Fund Macht zu bekommen.
Das stimmte, aber die Menschlichkeit, die Gefühle, beides blieb dabei auf der Strecke.
Es war klar, dass sie nicht ewig hier im Keller bleiben konnte.
Irgendwann musste sie sich oben zeigen und sich davon überzeugen, ob alles so eingetroffen war, wie sie es angenommen hatte. Ein kurzer Schrei nur, danach war die Stille abrupt eingetreten.
Die Stille belastete Jade. Sie war anders als sonst. Sehr bedrückend und unheimlich, nicht durchbrochen von irgendwelchen Geräuschen, sondern wie ewig geltend.
Im Hals merkte sie das Kratzen. Sie musste sich räuspern, aber der Eindruck, Staub geschluckt zu haben, blieb. Selbst ihr Speichel schmeckte anders, die Luft wehte gegen ihr Gesicht wie ein feuchter, stinkender Lappen.
Das Ei war längst verschwunden und zeigte sich nicht mehr. Jade hatte damit gerechnet, den Gegenstand wieder zu sehen. Leider suchte er ihre Nähe nicht.
Überlaut kamen ihr die eigenen Schritte vor. Wenn die Sohlen schleiften, hörten sie sich an wie das Kratzen von Totenfingern unter einem schweren Sargdeckel.
Selbst das Licht war für ihren Geschmack noch düsterer geworden. Der Glanz lag nicht mehr auf den Stufen.
Die Kellertür brauchte sie nicht aufzustoßen. Sie drückte sich schräg durch den Spalt, ging einige Schritte und konnte bereits die nicht geschlossene Küchentür sehen, aber ein Blick in den Raum hinein gelang ihr leider nicht.
Unwillkürlich schaute sie über den Boden, wo sie nach Spuren suchte.
Blut hinterließ Flecken, aber die dunklen Punkte zeigten sich nicht.
Sie fühlte sich als Fremde im eigenen Haus. Furcht bekam sie nicht, auch wenn ihr Herzschlag sich beschleunigt hatte. Das lag an der Aufregung und auch der Spannung.
»Mutter…?« Wie von selbst rutschte das Wort über ihre Lippen. Jade wartete auf eine Antwort, sie war sich nicht sicher, zögerte, lauerte, es blieb still.
Da wusste sie Bescheid!
Noch vor der Küchentür stehend strich sie durch ihr Haar. Das Gesicht erinnerte an eine Maske. Unter dem linken Auge zuckte die dünne Haut.
Die Kleidung roch nach Keller, sie strich mit den Händen darüber, als könnte sie den Geruch vertreiben, was ihr natürlich nicht gelang. Einen anderen nahm sie deutlicher wahr.
Er drang aus der Küche, er war wie eine Wolke, die man nicht sah, ein gefährlicher Bote…
Sie ging die letzten Schritte, zog die Tür auf, schaute in die Küche - und sah ihre Mutter.
Alma Prentiss saß auf dem Stuhl. Sie sah aus wie das makabre Kunstwerk eines Designers, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, keine schönen Leichen zu
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