0663 - Das Unheil erwacht
schauten, und ein schlichtes Kleid, das den Körper der jungen Frau bedeckte. Das war der erste Eindruck, den wir von Jade Prentiss bekamen.
Wir hatten das doch ziemlich einsam liegende Haus relativ schnell gefunden und den BMW in seiner unmittelbaren Nähe abgestellt. Es mochte Menschen geben, die hier gern lebten. Für mich wäre es nichts gewesen, von drei Seiten eingeschlossen zu sein, auch wenn es Wald war, der einen natürlichen Schutz bildete.
Die Natur hatte ihre Novembertrauer angelegt. Eine Stimmung, die deprimieren konnte. Ich für meinen Teil war im Innern optimistisch und hoffte, endlich eine Spur zu finden.
»Jade Prentiss?« fragte ich und lächelte ihr zu.
Sie nickte. Es sah etwas scheu aus, vielleicht auch verlegen, und sie traf keinerlei Anstalten, die Tür weiter aufzuziehen. Sie blieb in dem Spalt stehen.
»Können wir Sie sprechen, bitte?«
»Ja - nein, ich… ich… weiß nicht, wer Sie sind? Wir kennen uns ja nicht.«
»Mein Name ist John Sinclair.« Ich stellte auch Suko vor, beobachtete dabei ihr Gesicht und entdeckte darin keine Regung. Unsere Namen schienen ihr nichts zu sagen.
»Was wollen Sie denn?«
»Wir kommen aus London.« Ich hielt ihr den Ausweis entgegen. »Und sind Yard-Beamte.«
»O Himmel, Polizei!«
Ihr Gesicht verlor noch mehr von der Farbe, denn sie war sowieso ziemlich blass. Jetzt sah sie aus wie eine Leiche. Hatte sie ein schlechtes Gewissen?
Suko wurde konkreter. »Es geht uns im Prinzip nicht um Sie, sondern um Ihren Bruder.«
»Larry?«
»Ja, Miss Prentiss.«
»Er… er wohnt nicht hier. Da müssen Sie nach London fahren, wenn Sie ihn sprechen wollen.«
»Von dort kommen wir.«
»Und? Was ist…?« Sie trat einen Schritt zurück. »Wollen Sie damit sagen, dass Larry etwas passiert ist?«
»Er lebt«, sagte ich schnell.
Sie nickte, und sie öffnete dabei die Tür, was wir als Einladung ansahen und das Haus betraten.
Es war alt, es besaß Atmosphäre, es roch irgendwo auch muffig, aber bei diesem schwülen Wetter zu lüften, brachte wohl nicht viel.
Die gute Wohnstube erinnerte uns an einen Raum im Museum. Es fehlte nur die gespannte Kordel, die dafür sorgte, dass die Besucher den Raum nicht betreten konnten. Wir nahmen Platz.
Das Sofa besaß eine ziemlich harte Polsterung. Irgend etwas drückte gegen mein Hinterteil. Lange wollte ich hier nicht sitzen.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten?« fragte Jade. Sie hatte uns gegenüber ihren Platz eingenommen und hockte auf der Kante eines mit geblümten Stoff überzogenen Sessels.
Suko wollte nichts, auch ich hielt mich zurück und hatte den Eindruck, als wäre Jade froh darüber.
»Um Larry also geht es Ihnen. Was ist denn mit ihm passiert?«
Da ich mich mit ihm auseinandergesetzt hatte, stand es mir auch zu, ihr einen Bericht zu geben.
Ich wählte meine Worte sorgfältig, weil ich nicht wollte, dass sie einen Schock bekam.
Jade hörte mir mit unbewegtem Gesicht zu. Nur ihre spielenden Finger zeigten Nervosität. Schließlich hob sie die Schultern und sagte leise:
»Sie können mir deswegen keinen Vorwurf machen, Mr. Sinclair. Ich habe mit meinem Bruder kaum Kontakt. Wo er wohnt, das ist eine völlig andere Welt.«
»Stimmt.«
»Wissen Sie, Mr. Sinclair, ich habe immer gedacht, mein Bruder wäre so eine Art Vertreter. Was Sie sagen, ist für mich ein Schock. Ich bekomme da eine Gänsehaut…«
»Keine Sorge, es geht alles gut.«
»Wohnen Sie hier allein?« fragte Suko.
Jade Prentiss drehte den Kopf. »Ja - wieso?«
»Ich meine nur.«
Sie hörte mein Räuspern und schaute mich wieder an. »Warum lügen Sie denn? Man hat uns berichtet, dass Sie zusammen mit Ihrer Mutter hier im Haus leben.«
Für einen Moment presste sie die Lippen zusammen. Für uns wirkte es so, als würde sie nach einer Ausrede suchen. »Wer hat Ihnen das denn berichtet?«
»Jemand, der sich hier auskennt.«
»Der hat gelogen.«
»Ja«, sagte Suko, »wenn Sie meinen. Da ist noch etwas, das uns stutzig macht.«
»Und?«
»Sie haben sicherlich von dem Toten gehört, der hier gefunden wurde, nicht wahr?«
»Welchem Toten?«
Suko beugte sich vor. »Eine männliche, blutleere Leiche. Sie lag im Wald, verstehen Sie?«
Unsere Fragen waren mit einem Netz zu vergleichen, das sich immer enger um die Frau zog. »Damit habe ich doch nichts zu tun!« stieß sie hervor. »Wie kommen Sie darauf? Wollen Sie mich vielleicht für den Tod dieses Mannes verantwortlich machen?«
»Nein, das nicht. Wir nehmen nicht an, dass Sie die Leiche
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