0668 - Die dunkle Bedrohung
das ›Cornu-Zeichen‹, die einfachste Art, unreine Geister von sich abzuhalten. Daumen und kleiner Finger bleiben vorangestreckt, während die drei mittleren Finger eingerollt werden. Überall in der Welt wird dieses Zeichen gegen den Einfluß von Hexerei und den ›bösen Blick‹ angewandt. Dem ungebetenen Besucher entlockte diese Art Geisterbann jedoch nur ein silberhelles Lachen.
»Wer ich bin? Dreimal darfst du raten«, säuselte es sanft. »Wir kennen uns gut, Feind unseres Großen Vaters in der Tiefe. Du hast mich schon oft gerufen -und ich habe dir stets die Wahrheit gesagt.«
»Du bist ein Dämon?« stellte Zamorra sachlich fest. Wenn das so war, mußten die Schutzzeichen rund um das Château beschädigt oder manipuliert worden sein.
»So kann man mich auch nennen«, antwortete die Stimme. »Lieber ist es mir aber, wenn du mich einen gefallenen Engel nennst.«
»Ich sehe dich nicht, wer immer du bist!« Der Parapsychologe verwünschte den Umstand, daß er sein Amulett, wenn er sich im Château aufhielt, meistens im Tresor des Arbeitszimmers aufbewahrte. Der unheimliche Besucher schien ihm nicht schaden zu wollen. Aber es war trotzdem gefährlich, einem Wesen der Dunkelwelten ohne Schutz gegenüberzustehen. Denn es war klar, daß das Cornu-Zeichen ebenso wenig Schutz gegen einen Dämon war wie eine Wasserpistole gegen einen in rasendem Zorn angreifenden Löwen.
»Hast du denn keine Augen im Kopf ? Ich bin hier«, erklang wieder die sanfte Stimme, als sich Zamorra suchend im Raum umsah. Er war ganz sicher, alleine zu sein. Aber die Stimme war da. Also war der Unsichtbare ganz in seiner Nähe.
»Vielleicht spielen wir jetzt das hübsche Spielchen ›Ich seh' etwas, was du nicht siehst‹«, spottete die Stimme aus dem Unsichtbaren.
»Zeige dich, Ungeist!« knurrte Zamorra. »Ich will wissen, mit wem ich das Mißvergnügen habe.«
»Hast du Vassagos Spiegel vergessen, Meister des Übersinnlichen?« klang es jetzt mit leisem Spott. »Blicke einfach in den Spiegel, der vor dir steht, und du wirst erkennen, welchen hohen Herrn aus dem Gefolge des Lucifuge Rofocale du begrüßen darfst.« Und dann sah Zamorra die abartig-abstrakten Gesichtszüge eines Unterwelt Wesens in dem Glas Wasser, das ihm der alte Diener Raffael Bois auf den Schreibtisch gestellt hatte.
Im Spiegel der kristallklaren Flüssigkeit erkannte Zamorra einen dreieckigen Schädel, der entfernt menschliche Züge aufwies. Die Fratze eines der unreinen Geister aus LUZIFERs Reich. Aber eines Dämons der besonderen Art.
Es war Vassago, ein höllischer Prinz vom Orden der falschen Tugenden, dem 26 Legionen unreiner Geister untertan sind. Doch die alten Grimoiren und die Goethia wollen wissen, daß Vassago einer der gutmütigen Höllengeister ist, der vergangene und kommende Dinge verkündet. Es steht auch geschrieben, daß Vassago hoffen kann, nach Ablauf einer gewissen Frist die Hölle zu verlassen und wieder in den Reigen der himmlischen Chöre einzutreten. Deshalb gelingt es auch dem kundigsten Hexenmeister nicht, Vassago für einen Schadenszauber zu beschwören. Als wahrsagender Geist, der in klarem Wasser genausogut wie in einer Kristallkugel erscheint, wird er jedoch gern angerufen. Vassago sagt stets die Wahrheit, während Dämonen normalerweise notorische Lügner sind. Denn Vassago weiß, daß ihn jede Lüge stärker an Satanas Merkratik, den Vater der Lüge, bindet. Deshalb besitzt Vassago außer dem Höllensiegel, unter dem ihn die schwarzen Hexenmeister beschwören, auch ein zweites Siegel, unter dem ihn jeder weiße Magier gefahrlos anrufen kann.
Vielleicht war gerade dies der Grund dafür, daß Vassago durch die Abschirmung des Châteaus hatte dringen können? Genauer gesagt, nicht er selbst, sondern seine Kraft?
»Wie nach dem Wechsel in die Zeit des Wassermanns Dämonen zu Menschen und Menschen zu Dämonen werden, so werden auch aus den Teufeln, über die das Licht der Gnade gefallen ist, wieder Engel.« Vassago hatte Zamorras Frage erraten, noch bevor sie ausgesprochen wurde. »Auch ich gehöre zu denen, die in Kürze Vergebung erhalten werden und wieder hinaufsteigen dürfen. Dennoch muß ich jetzt noch denen gehorchen, die in den Schlünden der Tiefe über mich gebieten. Nur mir, in dem der Kaiser LUZIFER die positiven Kräfte verspürt, die er selbst einmal hatte, ist es von allen seinen Heerscharen möglich, hierher in dein Refugium zu dir vorzudringen. Und die erhabene Majestät der Ewigen Flamme selbst hat mich zu dir
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