067 - Der Redner
›Hallo!‹ sagte ich, ›Sie schulden uns noch acht Schilling‹ Doch merkwürdig, daß ich sein Gesicht sofort wiedererkannte, obwohl ich ihn nur einmal gesehen habe ... nein, Arsen liefern wir nur unseren Vertretern.«
Nun kennt jeder das Gesetz von der Duplizität der Fälle. Wenn einem morgens der Arzt bei der Visite etwas von Sennesblättern sagt, kann man sicher sein, daß man abends bei der Unterhaltung mit einem Bekannten dasselbe Wort wieder hört. Der Redner, der fest an dieses Gesetz glaubte, war daher nicht überrascht, als er am nächsten Morgen in dem Bericht des Polizeidirektors von Wessex über den Mordfall Fainer von Arsen las.
Die Sache wurde Scotland Yard verhältnismäßig spät mitgeteilt. Mrs. Fainer saß im Gefängnis und wartete auf die Gerichtsverhandlung. Der Redner las das Schreiben langsam und aufmerksam durch wie gewöhnlich.
». ich bin absolut nicht überzeugt, daß diese Frau die Mörderin ist«, schrieb der Polizeidirektor, ein Freund Mr. Raters. »Ich bin auch mit der Arbeit meiner Detektive nicht zufrieden, obwohl sie sonst Gutes leisten. Es ist schade, daß ich mich nicht früher an Scotland Yard gewandt habe. Aber wenn es Ihnen irgendwie möglich ist, möchte ich Sie bitten, hierherzukommen, obwohl es ein vergebliches Unternehmen sein wird, den Fall aufzuklären.«
Der Redner ging mit diesem Brief zum Polizeipräsidenten. Es war gerade nicht viel zu tun, und er erhielt die Genehmigung, nach Burntown zu fahren. Sein Freund holte ihn auf dem Bahnhof ab.
»Die Verhandlung findet schon nächste Woche statt, und ich sehe keine Möglichkeit, daß Sie bis dahin entlastendes Material beischaffen könnten. Die Beweise, die wir in der Hand haben, genügen vollkommen, um die arme Person an den Galgen zu bringen. Es tut mir wirklich leid um sie«, fügte er hinzu. »Sie ist eine schöne Erscheinung, und sie war viel zu gut für ihren Mann, einen unduldsamen, nörgelnden Menschen, der obendrein noch Halbinvalide war und sie von morgens bis abends quälte. Sie war eigentlich im Recht - wenn sie es wirklich getan haben sollte.«
Der verstorbene Mr. Fainer war ein wohlhabender Kaufmann gewesen, der sich schon als Dreißiger vom Geschäft zurückgezogen hatte. Zehn Jahre später hatte er die junge Dame geheiratet, die jetzt im Gefängnis saß. Sie hatte kein schönes Leben an seiner Seite, denn er war ein harter Mann, mit dem man schlecht auskommen konnte. Aber allem Anschein nach hatte sie ihr Los getragen, ohne zu klagen und zu murren. Bekannte hatte sie kaum. Nur mit einem gewissen Mr. Alexander Brait war sie befreundet, der eine Anzahl bedeutender Firmen vertrat und eine Generalagentur besaß.
Mr. Brait war ein sehr angesehener Bürger in Burntown. Er betätigte sich in der Jugendfürsorge, war ein guter Redner und Mitglied des Kirchenchors, interessierte sich auch sonst für wohltätige Zwecke und stand überall in dem besten Ruf.
»Zweifellos traute auch der verstorbene Fainer seinem Freunde Brait mehr als jedem anderen«, berichtete der Kollege Mr. Raters. »Das ist auch leicht erklärlich, denn Brait ist ein offener, freier Charakter, der Sinn für Humor hat und durch seine witzige Unterhaltung Fainer oft aus seiner trüben Stimmung riß. Dadurch hat er auch das Leben der Frau etwas erleichtert. Es ist direkt tragisch, daß ausgerechnet er der Hauptzeuge für die Staatsanwaltschaft ist.«
»Wie kommt denn das? Hat er gesehen, daß sie ihm das Gift gab?« fragte der Chefinspektor.
Zu seinem größten Erstaunen nickte sein Freund.
»Allem Anschein nach ist dem Mann das Gift während des Tees beigebracht worden. Fainer, seine Frau und Brait waren im Zimmer. Sie reichte ihrem Mann eine Schale mit Gebäck. Daraufhin wurde ihm übel - er starb am nächsten Morgen. Bei der Obduktion stellte man Arsenvergiftung fest. Brait wußte nichts davon, da er gleich nach dem Tee weggegangen war. Er erfuhr es erst am nächsten Tag und kam dann in eine furchtbare Situation. Er hatte nämlich Mrs. Fainer an dem Nachmittag des Unglückstages getroffen, und sie hatte ihn gebeten, von einer Apotheke Arsen zu besorgen. Mr. Brait war bestürzt über dieses Ansinnen, wollte sie aber nicht beleidigen und sagte, er könnte es nur beschaffen, wenn er dem Apotheker angäbe, zu welchem Zweck er es haben wollte, und gleichzeitig ein ärztliches Rezept vorzeigte. Sie geriet daraufhin in große Verwirrung und bat ihn, die Sache zu unterlassen. Als er dann später zum Tee zu Fainers kam, erwähnte sie nichts
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