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0674 - Der Wald des Teufels

0674 - Der Wald des Teufels

Titel: 0674 - Der Wald des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Ruhe. Es war genug für alle da. Wo keine Menschen lebten, wuchsen neue Bäume. Die Jahre vergingen, doch irgendwann tauchten Männer in braunen Kutten auf, die tief in den Wald eindrangen, tiefer als die anderen je zuvor, und neben meiner Quelle ein großes Gebäude errichteten.«
    Mönche, dachte Nicole. Die haben im Wald ein Kloster gebaut.
    »Sie rodeten ebenfalls Land, aber bauten nichts an. Dafür brachten die Menschen aus dem Dorf ihnen jetzt ihre Toten, die sie dort unter die Erde legten. Ich habe nie verstanden, warum sie das taten. Sie stellten Steintafeln über ihnen auf. Es wurden immer mehr, und eines Tages begriff ich, daß die Toten die Quelle vergifteten. Meine Kräfte schwanden. Ich versuchte den Männern in den Kutten zu sagen, was sie taten, aber ich wußte damals noch nicht, wie man mit Menschen redet. Ich warf die Steintafeln um, aber sie richteten sie wieder auf. Ich ließ starke Winde aufkommen und weckte den Wald, der sich gegen sie stellte. Aber die Männer gingen nur in ihr Gebäude und sangen. Ich wurde schwächer. Schließlich kam einer der härtesten Winter, die ich je gesehen habe. Die Wölfe kamen aus den Bergen bis tief in die Täler und suchten zwischen den Häusern der Menschen nach Nahrung.«
    Das Wesen stockte für einen Moment und fuhr dann fort: »Und in einer dieser schrecklich kalten Nächte habe ich das Kloster angezündet.«
    Nicole blieb stehen und sah den Geist entsetzt an. Aber der blickte einfach nur starr vor sich hin, war tief in die Vergangenheit eingetaucht.
    »Zuerst geschah nicht viel«, sagte er. »Die Strohmatten begannen zu brennen, dann griff das Feuer auf die Balken über. Bevor ich verstand, was ich getan hatte, brannte das Dach. Die Männer wurden von dem Brand geweckt, rannten schreiend aus dem Gebäude. Einige brannten. Die anderen versuchten das Feuer mit Schnee zu löschen, aber es gelang ihnen nicht. Ich wollte helfen, aber ich war so schwach, daß ich nichts mehr ausrichten konnte… Und dann kamen die Wölfe. Sie fielen über die Überlebenden her. Die Menschen im Dorf müssen ihre Schreie gehört und das Feuer gesehen haben, aber sie wagten sich nicht aus ihren Häusern. Nur einer der Männer entkam den Wölfen. Er schleppte sich bis zum Dorf. Ich folgte ihm und sah, wie er gegen die verschlossenen Türen schlug und um Hilfe bettelte. Aber niemand öffnete. Das Heulen der Wölfe machte ihnen zuviel Angst. Ich nahm meine letzten Kräfte zusammen und brachte ihn zurück zu meiner Quelle. Zumindest einen wollte ich retten, um meine Schuld zu mindern. Ich gab ihm Kraft, versuchte, seine Wunden zu heilen, aber nach sechs Tagen starb er. In der darauffolgenden Nacht erschien er mir in den Ruinen des Klosters. Er war wie ein bösartiges Tier und sann auf Rache, allerdings nicht an mir, sondern an den Menschen, die ihn im Stich gelassen hatten. Ich versuchte ihn davon abzuhalten und stellte dann fest, daß die Kraft, die ihn von den Toten zurückgeholt hatte, ihn auch an diesen Wald bannte. Er konnte ihn nicht verlassen. Das rettete die Menschen im Dorf, zumindest so lange sie nicht in den Wald kamen. Jahrhunderte lang, während ich versuchte, meine erschöpften Kräfte zu erneuern, wütete er hier. Männer, Frauen, Kinder - er vernichtete jeden, der ihm zu nahe kam. Aber in den Legenden der Menschen blieben nur die Kinder übrig, ich weiß nicht, wieso.«
    Weil sie das am meisten berührt hat, dachte Nicole erschauernd. Kinder sind die Zukunft.
    »Irgendwann hatte ich genügend Kräfte gesammelt, und es gelang mir, ihn zu überlisten; Ich brachte ihn in die Ruinen des Klosters und versetzte ihn in einen tiefen Schlaf. Er glaubt zwar, er sei wach, aber das ist nur eine Täuschung. Damit, so dachte ich damals, hatte ich das Problem gelöst. Die Menschen kamen nicht mehr in den Wald und die wenigen, die sich verirrten, brachte ich alsbald wieder hinaus. Doch dann bauten sie das gläserne Gebäude - viel zu nah bei den Ruinen. Der Schlaf des zornigen Rächers ist zwar tief, aber früher oder später wird er dennoch die vielen Menschen bemerken. Und dann wird er erwachen, dann kann ihn auchmein Zauber nicht mehr halten. Also versuche ich die Menschen zu warnen, indem ich ihnen die Kinder nehme, genau so, wie er es in der Legende getan hatte. Aber das nützt nichts. Sie begreifen nichts und bauen weiter.«
    Das Wesen sah zu Boden. »Wenn das Gebäude fertig ist, werden die Menschen dann wieder gehen?«
    Nicole schüttelte den Kopf.
    »Nein«, sagte sie ehrlich.

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