0674 - Im Höllenloch
Passagier meine Kletterei gesehen hatte.
Ich konzentrierte mich auf die Geräusche an der offenen Tür. Noch hatte ich nicht gehört, daß sie ins Schloß hämmerte. Auch weiterhin wurde palavert.
Der folgende Knall war für mich wie ein Signal zum Aufatmen. Sie hatten es gefressen und die Tür wieder zugeschlagen. In den folgenden Minuten würde ich wohl Ruhe haben.
Zunächst einmal mußte ich mit mir selbst ins reine kommen. Auch jetzt lag ich flach auf dem Dach, hatte den Kopf angehoben und schaute nach vorn.
Mein Blick glitt über die Kette der Wagen hinweg. In der Ferne schien sich der dichte Wald zu lichten. Ich ging davon aus, daß sich dort eine kleine Stadt oder ein Ort befand.
Noch dampfte er weiter. Der Wind trieb die weißen Qualmwolken auch bis zu mir auf das Dach des letzten Wagens. Nur nicht so dicht, daß sie mir die Sicht nahmen.
Es war kein Vergnügen, auf dem Dach zu liegen, aber ich wollte in der Nähe meiner Freunde bleiben, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, daß man sie kurzerhand aus dem Zug geworfen hatte. Sie waren so etwas wie ein Pfand.
Ich gewöhnte mich an die Reise, und meine Nerven beruhigten sich allmählich. Das große Flattern war vorbei. Jetzt wartete ich auf den nächsten Halt.
Noch konnte ich den nächsten Ort nicht erkennen, weil das Grün des Dschungels zu dicht war. Zudem mußte der Zug erst in eine weite Kurve hineinfahren.
Dann passierte es.
Ich hatte ihn nicht kommen sehen, aber ich hätte mit ihm rechnen müssen. Die eigenen Anstrengungen hatten mich nicht mehr an ihn denken lassen.
Jetzt aber war er da!
Und er hockte wie ein teuflischer Gnom auf dem Dach.
Er, der beinlose Götze!
***
Der kalte Schauer schoß durch meinen Körper. Ich glaubte mich plötzlich wie von mächtigen Zangen umklammert, und die ansonsten heiße Luft schien mit Eiskörnern gefüllt zu sein.
Er schwebte dicht über dem Zugdach und hielt selbst die Geschwindigkeit bei. So wie er da hockte und mich anstarrte, machte er mir eiskalt seine Überlegenheit klar.
Was war zu tun?
Zu einem Angriff konnte ich mich nicht entschließen. Ich glaubte auch nicht daran, daß es Sinn hatte, wenn ich meine Waffe hervorzerrte und auf ihn schoß. Er war immer schneller als ich, und so konnte ich nur hoffen, daß er es auf eine andere Art und Weise versuchen würde. Wie würde er sich verhalten?
Ich dachte an den aus dem Zug gefallenen Leibwächter. Das wußte der Beinlose. Ich konnte mir vorstellen, daß er sich dafür rächen würde.
Noch tat er nichts.
Die groteske Situation blieb. Wir belauerten uns wie Hund und Katze. Ich hätte einiges darum gegeben, jetzt auf festem Boden zu stehen und nicht auf einem schwankenden Dach zu liegen.
Sein Gesicht sah aus wie eine knorrige Maske aus Baumrinde, über die jemand eine dünne Ölschicht gestrichen hatte. Die Lippen zuckten. Es sah so aus, als wollte er mit mir reden. Was immer aus seinem Mund drang, ich konnte es nicht verstehen.
Seinen rechten Arm hob er leicht an und streckte mir seine Hand entgegen.
Ein Zeichen?
»Hör zu!« rief ich. »Wenn du…«
Es hatte keinen Sinn, denn plötzlich schwebte er in die Höhe. Innerhalb kürzester Zeit brachte er genügend Spielraum zwischen sich und das Dach, so daß er für mich unerreichbar war.
Ich konnte ihm auch nicht nachschauen, denn eine schnelle Drehung wäre zu gefährlich gewesen.
Das verfluchte Gefühl blieb. Ich war umzingelt. In meinem Magen bohrte der Druck, der Schweiß ließ sich ebenfalls nicht vertreiben.
Die Gefahr war vorhanden, das wußte ich auch, ohne daß ich sie genau erkennen konnte.
Der Zug rollte weiter, von dem Beinlosen war nichts mehr zu sehen. Ich ging davon aus, daß er sich hinter mir befand. Irgendwo über mir in meinem Rücken hockte. So jedenfalls hätte ich es getan.
Ja oder nein?
Ich mußte es wissen und fing damit an, mich vorsichtig zu drehen. Der Zug hatte die große Kurve bereits erreicht.
Meine Bewegungen glichen sich dem Fahrtrhythmus an. Immer wieder bekam ich die Schwankungen mit, und ein Vergleich mit einem treibenden Floß kam mir in den Sinn.
Ich hatte mich jetzt so weit auf die linke Seite gedreht, daß mein Blickfeld ein anderes geworden war. Um noch besser sehen zu können, wollte ich mich hochdrücken und den linken Arm als Hilfe nehmen. So aufgestützt war es mir möglich, einen relativ guten Überblick zu bekommen.
Zur Hälfte schaffte ich es auch, dann aber war der beinlose Götze da.
Ich hatte ihn nicht einmal gesehen, mehr
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