0674 - Im Höllenloch
müssen.
Ein fahrender Zug bietet kaum Möglichkeiten, eben mal auszusteigen. Wenn doch, war es mit einem verflucht hohen Risiko verbunden. Wir hatten den letzten Wagen bestiegen. Wenn sie kamen, dann nur aus einer Richtung.
Ich lehnte mich gegen die Tür, durch die der Kerl in der grauen Flatterkleidung verschwunden war.
Der Schweiß lag dick auf meiner Stirn. Dann peilte ich wieder in den Gang hinein.
Sie kamen!
An der Spitze die Leibwächter des Beinlosen. Den angeblichen Götzen selbst sah ich nicht. Sie bewegten sich so leise wie möglich, ihr Ziel war unser Abteil, um mich zu holen.
Was tun?
Mutterseelenallein in einem fremden Land, dazu in einem Zug voller Feinde, es war eine beschissene Lage, mit der ich aber fertig werden mußte, weil es keinen anderen Ausweg gab.
Raus aus dem Zug! Hineinwerfen in den Dschungel, versuchen, sich durchzuschlagen.
Okay, das war eine Möglichkeit, die ich unter Umständen schwerverletzt überlebt hätte. Aber ich hätte dann meine Freunde im Stich lassen müssen, und genau das wollte ich auch nicht.
Was blieb mir?
So tun als ob.
Das hieß mit anderen Worten. Wenn sie nachschauten, sollten sie denken, daß ich den Zug verlassen hatte. Tatsächlich aber wollte ich auf das Dach des Wagens klettern.
Eine lockere, eine lässige und eine leichte Sache, wenn auch mit kleinen Verzögerungen. So jedenfalls bekam es der Zuschauer in einem Action-Film präsentiert.
Ich war kein Schauspieler und auch kein Stuntman. Ein normaler Mensch und durch meinen Job an Gefahren gewöhnt, auch durchtrainiert, dennoch blieb alles ein Risiko.
In einem Punkt hatte ich allerdings Glück. Die alte Maschine hatte zu kämpfen, denn die Strecke führte wieder bergan, diesmal steiler als beim erstenmal.
Geringere Geschwindigkeit bedeutete auch ein kleineres Risiko. Dennoch schrak ich zurück, als ich den Luftzug nach dem Öffnen der Tür mitbekam. Er schlug in mein Gesicht, und an der Seite rollte die Landschaft wie auf einer Leinwand vorbei.
Ich hoffte, daß sie mir noch Zeit ließen und mich keiner beobachtet hatte.
Ich schwang mich auf das Innentrittbrett und klammerte mich an der außen angebrachten Haltestange fest. Das Dach kam mir plötzlich sehr hoch vor, aber es besaß noch eine Regenrinne, wie bei den alten Wagen üblich.
Die umklammerte ich. Dabei mußte ich den Arm weit ausstrecken, zog an ihr und stellte mit Zufriedenheit fest, daß sie hielt. Jetzt mit der anderen Hand.
Auch das klappte. Dabei löste ich meine Füße und schwebte in den folgenden Sekunden in der Luft.
Dann kletterte ich hoch. Mit den Füßen stemmte ich mich gegen die Außenwand des Wagens und hatte das große Glück, daß die Tür diesmal zufiel.
Ich aber hing außen am Zug.
Der Fahrtwind griff nach mir, er drückte in meine Augen, so daß sie anfingen zu tränen. Die Luft war angefüllt mit unzähligen fremden Düften. Aus dem Dschungel tönte mir das Geschrei entgegen, und die Berge waren höher geworden. Sie lagen wie Klötze da, gegen die die Wagenschlange fuhr.
Mit den Händen hielt ich mich fest, mit den Füßen stemmte ich mich an der Außenwand ab.
Und so kam ich hoch. Das Zugdach war etwas gerundet. Aus ihm hervor schauten stummelartige Gegenstände, die auf mich den Eindruck kleiner Kamine machten, die so stark waren, daß ich mich daran festhalten konnte.
Ich kroch auf das Dach. Allmählich fingen meine Arme in Höhe der Schultern an zu zittern. Es bestand die Gefahr, daß ich abrutschte. Es ging trotzdem weiter.
Dann hatte ich es geschafft!
Ich lag auf dem Dach, noch quer, schwer atmend und ausgepumpt. Sehr behutsam drehte ich mich herum, schaute noch einmal über die Kante nach unten und sah, daß die Tür aufsprang. Sie war nicht richtig zugefallen, jetzt flatterte sie wie eine schwere Fahne im Fahrtwind.
Hoffentlich legte sie eine falsche Spur. Dann würden die Verfolger denken, daß ich den Zug verlassen hatte. Ich legte mich in Fahrtrichtung bequemer hin, sofern man überhaupt von einer Bequemlichkeit sprechen konnte.
Die Beine und die Arme hatte ich ausgebreitet. So bekam ich einigermaßen Halt auf dem Dach, denn der verfluchte Wagen schaukelte und schlingerte von seiner Seite zur anderen. Die Strecke war zudem kurviger geworden, was meine Lage nicht eben erleichterte.
Dann hörte ich die Stimmen.
Für mich ein Beweis, daß die Häscher die offene Tür entdeckt hatten. Was sie sagten, konnte ich nicht verstehen. Sie schrieen durcheinander, und ich konnte nur beten, daß kein
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