0674 - Im Höllenloch
Ruhe allerdings kam mir trügerisch und auch sehr gefährlich vor.
Die wenigen Meter bis zum Abteil legte ich so rasch wie möglich zurück, öffnete die Tür - und blieb wie angewurzelt stehen, Das Abteil war leer.
Keine Spur von Suko und Mandra. Nur eine leere Papiertüte lag zerknüllt am Boden…
***
»Ich hätte besser mit ihm gehen sollen«, meinte Suko, als sein Freund John verschwunden war.
»Und dann?«
»Nichts dann. Vier Augen sehen mehr als zwei.«
Mandra winkte ab. »Laß ihn das machen. Wir halten hier die Stellung.« Er hatte sich nicht gesetzt, das Fenster aber geschlossen, und er schaute ständig hinaus.
Der Beinlose ließ sich nicht blicken. Sein kurzes Erscheinen hatte ausgereicht, um den Männern klarzumachen, in welch einer Gefahr sie schwebten.
Der Inder selbst hatte seinen Freunden nicht alles erzählt. So wußten sie nicht, daß der beinlose Götze zwar zu den Menschen gehörte, aber über immense Kräfte verfügte und auch einen guten Kontakt zu den Göttern besaß.
Er konnte sich in mehrere Stufen zeigen, denn er hatte es geschafft, Grenzen zu überwinden. Daß sie ausgerechnet auf den beinlosen Gott stoßen würden, damit hatte Mandra Korab nicht gerechnet.
Suko besaß ein Gespür für Gefahren und ungewöhnliche Situationen. Er merkte, wie unwohl sich Mandra fühlte, und er stellte eine sehr konkrete Frage. »Du weißt mehr als wir, nicht wahr?«
»Das kann sein!«
»Was weißt du?«
Mandra schüttelte den Kopf. »Es ist nicht der richtige Moment, um damit zu protzen.«
»Das hat damit nichts zu tun. Du mußt reden. Wir müssen wissen, woran wir sind.«
»Das stimmt schon. Aber ich will dir ehrlich sagen, daß ich nicht voll durchblicke. Manchmal habe ich den Eindruck, als würden alle Passagiere auf der anderen Seite stehen.«
»Das heißt, die sind Helfer von…«
»Genau das.«
Suko zeigte ein besorgtes Gesicht. »Gefällt mir nicht, Mandra. Gefällt mir überhaupt nicht. So habe ich mir den Einsatz hier in Indien nicht vorgestellt.«
»Du hast dich eben auf ein gefährliches Gebiet begeben. Das wußte ich aber, nur wollte ich es dir nicht sagen, als ihr aus London angerufen habt. Die Inder reagieren sehr sensibel, wenn es um die alten Wahrheiten geht.«
»Du meinst das Grab des Buddhas.«
»Was sonst? Du gehörst nicht zu uns, Suko, obwohl du kein Europäer bist. Sie werden ihre heiligen Plätze gegen die Frevler verteidigen. Selbst ich werde Mühe haben.«
Suko winkte ab und lauschte plötzlich, wobei er sich gleichzeitig drehte.
»Was ist los?«
»Ich fürchte, ich habe einen Schuß gehört.«
»Wo? Hier im Zug?«
»Ja.«
»John, nicht?«
»Bestimmt, Mandra.« Suko drehte sich um. Er wollte die Tür aufzerren, das taten bereits andere.
Sie waren lautlos herbeigekommen und durch den Gang geschlichen. An der Spitze die Männer in der dunklen Kleidung, und hinter ihnen drängten sich zahlreiche Passagiere.
Bevor Suko oder Mandra etwas unternehmen konnten, griffen die Leibwächter ein.
Etwas zischte den beiden entgegen.
Gas, dachte Suko noch, drehte sich um und sah das Fenster vor sich, das plötzlich eine andere Form bekam und zu einem riesigen milchigen Gegenstand wurde, über dessen Oberfläche sich Wellen bewegten, die Suko wie magisch anzogen.
Daß er in diese Wellen hineinfiel, bekam er nicht mit. Und auch nicht, wie Mandra Korab über ihn fiel.
Zehn Sekunden später war das Abteil leer!
***
Ein menschenleeres Abteil lag vor mir. Ich konnte es nicht glauben und ging einen Schritt vor.
Augenblicklich spürte ich das Fremde, das andere. Die Luft hatte sich verändert, sie roch so süßlich, und beim nächsten Atemzug überkam mich der erste Schwindel.
Gas!
Verfluchtes, verdammtes Gas! Dieser eine Gedanke überkam mich. Zum Glück war es nicht mehr in seiner konzentrierten Form vorhanden, sonst hätte es mich niedergeworden. So wußte ich wenigstens, wie Suko und Mandra überwältigt worden waren.
Die andere Seite arbeitete mit allen Tricks. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie kamen, um auch mich zu holen. Ich zerrte die Abteiltür zu und atmete erst im Gang. Noch immer fühlte ich mich leicht taumelig, meine Gedanken jedoch arbeiteten klar und präzise. Auf keinen Fall wollte ich hier auf die Meute warten. Es gab nur eine Chance. Wieder den Weg zurück.
Vorbei an den verhangenen Abteilfenstern, hinter denen ich kein Gesicht sah. Ich hatte es plötzlich sehr eilig. Mein Gefühl sagte mir einfach, so schnell wie möglich sein zu
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