0680 - Der verratene Traum
Lichtspeere aus der Scheibe kamen, die der weiße Mann um seinen Hals trug. Schneller als der Flug eines Speeres waren diese Strahlen, doch der böse Geist wich ihnen trotzdem aus. Ich konnte seine Angst riechen, als er die Flucht ergriff. Wir blieben stehen, und ein Schuss fiel. Ich sah den Schützen nicht, hörte nur, wie ein Pferd davongaloppierte. Und Zamorra war tot.«
Er stützte den Kopf in die Hände und schwieg. Obwohl er dem Weißen erst an diesem Tag begegnet war, hatte er sich mit ihm angefreundet. Es tat ihm leid, einen neu gewonnenen Freund so plötzlich zu verlieren.
»Warum hat das schwarze Känguru zugelassen, dass ihm etwas passiert? Es wacht doch über diese Lichtung.«
Eine Frau hatte die Frage aus der Dunkelheit gestellt. Sie hatte als Frau nicht das Recht, den Schamanen selbst anzusprechen, so wie kein Mann mit der Ältesten des Stammes reden durfte.
Einige der Männer murmelten zustimmend und sahen Gulajahli erwartungsvoll an. Der Schamane räusperte sich. »Das schwarze Känguru wacht ebenso über uns, wie der Eidechsenmann und die Regenbogenschlange. Der böse Geist stellte sich gegen uns und das Känguru brachte den Weißen Zamorra zu uns, damit er uns hilft. Sein Tod bedeutet nur, dass er dem Pfad der Traumzeit bis zum Ende gefolgt ist und jetzt zu unseren Ahnen geht, um als einer von uns wiedergeboren zu werden und uns auch weiterhin zu begleiten.«
Die Männer und Frauen nickten. Wie immer hatte der Schamane die Traumzeit richtig gedeutet.
Nur Wantapari runzelte die Stirn. »Aber«, entgegnete er, »wenn Zamorra zu unseren Ahnen gelangen soll, dann müssen wir ihm doch den Weg zeigen, so wie wir es mit einem der Unseren tun würden. Sonst wird sein Geist sich verirren und uns aus Rache verfolgen. Ist das nicht richtig, Gulajahli?«
Der Schamane zögerte fast unmerklich. Dann sagte er: »Das ist richtig. Wir müssen ein Corroborree durchführen, um ihm den Weg zu zeigen. Wantapari, ich bitte dich und zwei andere Männer, zurück zur Lichtung zu gehen und seinen Körper in unser Lager zu bringen. Bist du dazu bereit?«
Der Jäger sah hinaus in die Nacht. Er hatte den Schock des Kampfes noch nicht überwunden und hätte sich am liebsten mit seiner Frau nah ans Feuer gelegt, dorthin, wo normalerweise nur die Alten lagen, denen nicht mehr richtig warm wurde.
»Ich werde gehen«, sagte er trotz dieser Gedanken. Soviel war er dem Weißen schuldig.
***
Captain Macarthur hieb seinem erschöpften Pferd die Sporen in die Flanken. Das Tier schnaubte und schleuderte weiße Speichelflocken in die Luft.
Der Offizier konnte die ersten Außenposten des Lagers sehen. Wie immer in Vollmondnächten waren die kleinen Holzhütten nicht besetzt. Statt dessen hatten sich die Männer vermutlich an ein helles Feuer zurückgezogen und tranken Rum. Macarthur hatte das bisher toleriert, und heute war er sogar froh darüber. So kam er zumindest ungesehen ins Lager.
Macarthur lief ein Schauer über den Rücken, wenn er an den Laut dachte, den sein Vorgesetzter Grose in seiner Werwolfgestalt ausgestoßen hatte. Hoffentlich ist er nicht tot, dachte der Offizier.
Es war diese Sorge, die ihn übereilt ins Lager zurückkehren ließ, nachdem er die Lichtung vergeblich abgesucht hatte. Wenn Grose tot war, konnte er eine steile Karriere und eine rasche Versetzung nach Indien vergessen. Sein militärischer Aufstieg lag dann so weit entfernt wie das Mutterland von diesem verfluchten Ort.
Zumindest, dachte er mit einem Hauch von Zufriedenheit, war es ihm gelungen, den Unbekannten zu töten, der Grose angegriffen hatte. Macarthur konnte sich zwar nicht erklären, wie es dem Mann gelungen war, Blitze aus seiner Brust zu verschießen, aber der Soldat in ihm hatte zumindest eine logische Begründung. Gegen jede Waffe, das hatte er gelernt, gibt es eine angemessene Verteidigung. Manchmal war es jedoch eine Frage der Zeit, bis man sie entdeckte. Und da Grose in seiner Werwolfgestalt zweifellos eine Waffe war, hatte irgendjemand es wohl geschafft, eine angemessene Verteidigung zu finden.
Nur wer dieser Jemand war, hätte Macarthur doch zu gerne gewusst. Er beschloss, am nächsten Morgen eine Patrouille auf die Lichtung zu schicken, um die Leiche zu bergen. Vielleicht trug der Unbekannte Papiere bei sich, die das Rätsel lösten.
Der Offizier zügelte sein Pferd und ließ es in einen leichten Trab fallen. Er wollte nicht mehr Aufsehen als nötig erregen, wenn er durch das Lager ritt. Es war schon ungewöhnlich genug,
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