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0680 - Der verratene Traum

0680 - Der verratene Traum

Titel: 0680 - Der verratene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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formen.
    »Sir, hören Sie mir zu«, sagte er zu der halbmenschlichen Gestalt, die wimmernd am Boden lag. »Major?«
    Sein Vorgesetzter reagierte nicht, rupfte sich einfach nur mit einer Hand das Fell vom Körper. Der Angriff schien nicht nur seinen Körper, sondern auch seinen Geist in Mitleidenschaft gezogen zu haben.
    Macarthur ging vorsichtig in die Knie und hob den Kopf des Majors an. »Hören Sie mir zu, Francis«, wiederholte er eindringlich. »Kann ein neues Opfer Ihnen helfen?«
    Er blickte in Groses fiebrig glänzende Augen. Der Major schien nicht zu bemerken, dass jemand mit ihm sprach. Vielleicht hatte ihm der kurze Wutausbruch die letzte Kraft geraubt.
    Ich werde nicht zulassen, dass du stirbst, dachte der Captain verzweifelt. Es gibt noch so viel, das du für mich tun musst.
    Er ließ den Kopf seines Vorgesetzten zurück ins Stroh sinken und richtete sich auf.
    »Also gut«, sagte er zu sich selbst, »wenn du niemanden jagen kannst, werde ich das eben für dich erledigen.«
    Er schluckte mühsam, als ihm die Tragweite seines Entschlusses bewusst wurde. Juristisch betrachtet hatte er sich bei den Jagdausflügen mit Grose bisher höchstens der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht. Wenn man es ein wenig beschönigte, konnte man sogar behaupten, er sei nur ein Zeuge gewesen. Jetzt aber hegte er einen Plan, der ihn zum Mörder machen würde. Wenn das jemals herauskam, endete er am Galgen.
    Macarthur verdrängte der Gedanken rasch wieder. Wer sollte ihn schon verraten? Schließlich wusste außer ihm und Grose niemand etwas davon.
    Leise schloss er die Stalltür hinter sich. Er ahnte nicht, dass noch eine dritte Person von seinem Plan wusste.
    ***
    Traumzeit - Gegenwart?
    Gulajahli sah Wantapari bestürzt an. Der Jäger hatte ihn gefragt, wieso es nicht mehr dunkel wurde. Dabei hätte er das eigentlich nicht bemerken dürfen, denn der Schamane hatte den Kreislauf der Traumzeit geschlossen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft waren eins geworden, die Geschichte des Landes, das die Weißen Australien nannten, war getilgt. Als Teil dieses Kreislaufs konnte Wantapari nicht wissen, dass die Welt einmal anders gewesen war. Und doch hatte er die Frage gestellt.
    »Woher weißt du, dass es nicht immer hell war?«, hakte der Schamane nach.
    Wantapari zögerte. Er sah hinauf in den Himmel, an dem die gleißende Mittagssonne bewegungslos verharrte. Nach einem Moment sagte er: »In einem Traum sah ich viele Lichter an einem schwarzen Himmel. Sie sahen aus wie Funken, die in den Höhlen vom Lagerfeuer nach oben steigen. Sie funkelten. Als ich erwachte, wusste ich, dass die Welt früher häufig von diesen Lichtern erhellt wurde. Kannst du mir meinen Traum erklären, Schamane?«
    Ja, dachte Gulajahli. Ich könnte dir genau erklären, weshalb du keine Sterne mehr siehst, aber das würde das Misstrauen, das du ohnehin bereits gegen mich hegst, nur steigern.
    »Nun«, sagte er daher ausweichend, »das ist eine Frage, die du besser an die Ahnen richten solltest. Sie leben in der Welt der Träume, und wenn dort regelmäßig eine Dunkelheit über die Welt fällt, so muss das in unserer Welt nicht zwangsläufig ebenso sein. Bei unserer nächsten Zusammenkunft, wenn wir ein Corroborree feiern, solltest du dir ihre Antwort ertanzen.«
    Wantapari sah ihn lange an, suchte in seinen Augen nach einer Wahrheit, die er nicht fand. Dann wandte er sich wortlos von dem Schamanen ab. Er sagte ihm nicht, dass ihm noch andere Dinge aufgefallen waren. Der Krieger ging nach jeder Schlafensperiode auf die Lichtung des schwarzen Kängurus, um ein Koala-Weibchen mit seinen Jungen zu beobachten. Schon mehr als dreißig Mal war er dort gewesen, aber in all der Zeit waren die Kleinen nicht gewachsen. Wantapari spürte, dass das nicht richtig war, auch wenn er den Grund nicht sagen konnte.
    Mit ruhigen Schritten ging der Jäger den Strand entlang und hing seinen Gedanken nach, während in einiger Entfernung die Frauen Krebse sammelten. Gulajahli blieb zurück. Es beunruhigte ihn, dass der beste Krieger des Stammes der Eora ihm nicht mehr vertraute. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Wantaparis Geist aus den Reihen der Ahnen zu holen und in diesen Körper zu stecken. Er war so lange in der Traumzeit gewesen, dass er Zusammenhänge begriff, die andere nicht einmal erahnten. Aber Gulajahli hat te sich so nach einem Freund gesehnt, dass er das Risiko eingegangen war.
    Der Schamane sah sich um, als er das Lachen einiger unverheirateter Krieger hörte. Die

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