0680 - Der verratene Traum
»Wir können uns bis in alle Ewigkeit darüber streiten, es würde doch nichts bringen. Du kannst gerne versuchen, mich davon abzuhalten, die Eora zu warnen, aber…«
Er stockte. Es gab keinen Grund mehr weiterzusprechen. Pata war ebenso verschwunden wie die sonnige australische Landschaft.
Zamorra stand in der Eingangshalle von Château Montagne.
***
Australien 1794
Gulajahli schrie, als die Musketenkugel seine Brust durchschlug. Er schlug schwer auf dem Boden auf.
Vorbei, dachte er, alles ist vorbei.
Jemand kniete neben ihm und drehte ihn auf die Seite.
»Wantapari«, hauchte der Schamane. »Warum hast du meinen Tod gewollt?«
Der Krieger neigte traurig den Kopf. »Ich habe deine Welt im Traum gesehen, mein Freund. Dort wollte ich nicht leben.«
»Du weißt nicht, was unser Volk erwartet«, entgegnete Gulajahli und hustete trocken. »Ich wollte euch alle vor diesem Schrecken retten…«
»Nichts kann schlimmer sein als eine tote Welt, mein Freund«, sagte der Krieger, aber Gulajahli antwortete nicht mehr. Er war tot.
Wantapari ließ seinen Körper zu Boden sinken und stand auf. Er sah, wie seine Krieger einer nach dem anderen starben. Unbeirrt nahm er seinen Speer fester in die Hand und lief auf die überlegenen Gegner zu.
Wantapari folgte seinem Pfad bis zum Ende.
***
Gegenwart
Knurrend materialisierte sich der Werwolf zwischen den Menschen. Unter seinen Pfoten lag die blutige Leiche eines Mannes. Nicole traute ihren Augen nicht, als sie die Bestie anhand der Kleidung als Thomas Watling identifizierte.
Oh nein, dachte sie, wie soll ich den als Werwolf lebend ins Jahr 1794 zurückbringen? Fast schon unbewusst schaltete sie mit leichtem Daumendruck den Blaster von Laser auf Betäubung. Damit konnte sie das Monster zumindest vorübergehend außer Gefechtsetzen. Danach konnte sie in Ruhe nach einer Lösung suchen.
Dachte sie.
Der Werwolf drehte sich um und knurrte erneut. Der Mann, der mit Nicole gesprochen hatte, wich erschrocken zurück. Die plötzliche Bewegung irritierte die Bestie. Sie setzte zum Sprung an.
Nicoles Hand mit dem Blaster flog hoch, aber im gleichen Moment wurde sie von dem jüngeren Schwarzen zu Boden gerissen. Der Schuss verpuffte harmlos in der Luft. Nicole versuchte sich aus dem Griff zu winden, aber die ölglatte Haut des Mannes machte es ihr schwer. Sie setzte einen Hebelgriff an, hörte den Schwarzen aufstöhnen und befreite sich mit einem Schlag aus seinem Griff.
Die Dämonenjägerin fuhr mit dem Blaster in der Hand herum und erstarrte, als sie sah, wie der Werwolf dem anderen Mann die Kehle durchbiss.
Im Reflex drückte Nicole ab. Der Schockstrahl erreichte nie sein Ziel. Alles verschwand, hatte nie existiert.
Und Australien kehrte in die Welt zurück.
***
Australien 1794
Thomas Watling rannte. Seine nackten Füße wirbelten die rostbraune Erde auf und ließen Staubfahnen träge durch die nächtliche Luft gleiten. Sein Atem rasselte. Er wusste, dass es keinen Ausweg mehr gab. Die Verfolger waren zu nah. Thomas hörte, wie ihre Stiefel kleine Äste zerbrachen, wagte es aber nicht, sich umzusehen.
Er hatte Murphy und Buchanan längst irgendwo im Busch verloren. Gemeinsam hatten sie sich bis in die Nacht am Strand verborgen und auf ein Wunder gehofft. Aber anstelle des Wunders war nur eine Patrouille gekommen, die sie mit Hunden jagte.
Er schlug die herabhängenden Blätter eines Eukalyptusbaums zur Seite und stolperte auf eine Lichtung. Im hellen Licht des Vollmonds wirkten die mannshohen Blumen, die darauf standen, wie Gestalten aus einer anderen Welt.
Hinter ihm knurrte es. Eine Hand streifte seinen Rücken und zerfetzte sein Hemd. Thomas schrie und warf sich nach vorne, hinein in das seltsame Blumenfeld…
***
Gegenwart
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, lief Zamorra die Treppe zu seinem Arbeitszimmer hinauf. Kurz hatte er mit dem Gedanken gespielt, noch einmal durch die Blumen in die Vergangenheit zu reisen, aber er war sich sicher, dass die Traumzeitwesen darauf vorbereitet waren.
Zamorra riss die Tür auf und begann hektisch in den Buchregalen zu suchen. Er musste wissen, was damals mit den Eora geschehen war. Auch wenn er befürchtete, die Antwort zu kennen, wollte er doch Gewissheit haben.
»Was ist denn los?«, unterbrach Nicole seine Suche. Sie stand schlaftrunken im Türrahmen und sah ihn irritiert an.
»Ich erklär dir alles später«, entgegnete Zamorra. Er zog das gesuchte Buch, eine mehrbändige Geschichte Australiens, heraus und
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