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0680 - Der verratene Traum

0680 - Der verratene Traum

Titel: 0680 - Der verratene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Sir«, entgegnete der Anführer ruhig und ohne Schärfe. »Ich bin Rai-Doukan, der Herr der Kriegerpriester von Kent. In meinen Adern fließt das Blut der Götter. Niemand widerspricht mir, niemand widersetzt sich mir und niemand verweigert mir eine Antwort.«
    Kriegerpriester, dachte Nicole. Die Leprakranken hatten anfangs gedacht, sie gehöre zu diesen Leuten. Sie hatten ängstlich, fast ehrfürchtig gewirkt, als sie den Begriff aussprachen. Die Dämonenjägerin vermutete, dass ihre schwarze Kleidung die Erkrankten auf diese Idee gebracht hatte.
    Rai-Doukan ignorierte Watling, sah nur Nicole an und ging langsam auf sie zu. »Meine Männer haben euch beobachtet«, fuhr er fort. »Eigentlich wollten sie nur die Fäulnis in unserem Land tilgen, aber dann sahen sie, wie zwei Menschen urplötzlich nacheinander vor der Ruine standen. Sie berichteten mir davon und machten mich neugierig. Menschen, die aus dem Nichts auftauchen, können doch bestimmt auch wieder im Nichts verschwinden.«
    Rai-Doukan blieb vor Nicole stehen. Die wusste, worauf die Rede hinauslaufen würde, und der Anführer enttäuschte sie nicht: »Also sag mir, wo kommt ihr her und wieso seid ihr gerade in diesen seltsamen Blumen aufgetaucht?«
    Nicoles Gedanken rasten. Auf diese Frage gab es keine unverfängliche Antwort, denn im Gegensatz zu dem blinden Mann hatten die Kriegerpriester beobachtet, wie sie und Watling zwischen den Regenbogenblumen angekommen waren. Ihr war klar, dass sie Rai-Doukan nicht die Wahrheit sagen konnte. Das Risiko, dass er und seine Leute die Blumen benutzten, um von der Insel zu fliehen, war zu hoch. Außerdem waren die Auswirkungen auf den Zeitstrom nicht absehbar, sollten die Kriegerpriester quer durch Raum und Zeit springen.
    Sie bemerkte, dass Rai-Doukan ungeduldig wurde. Er war nicht dumm und wusste sehr genau, dass ihr Schweigen die Vorbereitung auf eine Lüge war.
    Nicole öffnete den Mund, um ihm eine möglichst unverfängliche Antwort zu geben, aber Watling kam ihr zuvor.
    »Rai-Doukan«, sagte er unterwürfig, »gebt mir Euer Wort, dass Ihr mich mitnehmt, und ich werde Euch erklären, wie Ihr aus England fliehen könnt.«
    Oh, Scheiße, dachte Nicole.
    Rai-Doukan lächelte.
    Und der unsichtbare Schwarze, der neben ihnen stand, begann zu singen.
    ***
    Australien 1794
    Die Krieger sangen leise, während sie sich ihren Weg durch den Busch bahnten. Wantapari bemerkte eine Giftschlange, die sich im Schlaf um einen Baumstamm gewickelt hatte, und ging ihr respektvoll aus dem Weg. Die anderen folgten seinem Beispiel. Sie variierten die Melodie, um den Schlafplatz der Schlange mit in ihren Pfad einfließen zu lassen.
    Abgesehen von diesem Gesang schwiegen die Krieger, denn sie wussten, dass ihre Mission schwierig und gefährlich war. Einen Toten zu bergen, dessen Geist nicht von einem Schamanen auf den rechten Weg geführt worden war, konnte unangenehme Konsequenzen für alle Beteiligten mit sich bringen. Häufig verirrte sich der Geist eines solchen Toten und suchte nach Rache für seinen Zustand. Wenn ein solcher Geist böse wurde, war der ganze Stamm gefährdet. Deshalb war es so wichtig, dass sie die Leiche des Weißen von der Lichtung bargen, denn dieser Ort wurde vom schwarzen Känguru geschützt und bildete das wichtigste Jagdrevier der Eora. Es war nicht auszudenken, gerade diese Lichtung in den Einflussbereich eines anderen Geistes fallen zu lassen. Da ging man lieber das Risiko ein, den Körper zum Stamm zurückzubringen - natürlich nur über Umwege, damit der Geist sich erneut verirrte und seinen Körper erst wiederfand, wenn der Schamane bereit war, ihn auf den Weg zu seinen Ahnen zu schicken. Erst dann konnte wieder Frieden einkehren und aus dem bösen Geist ein Beschützer der Eora werden.
    Wantapari hoffte, dass Gulajahlis Plan aufging, denn mit den Sträflingen und den Rotröcken in unmittelbarer Nähe brauchte der Stamm jeden Schutz, den er bekommen konnte. Den Gedanken, an den bösen Geist, den Zamorra Werwolf genannt hatte, verdrängte Wantapari erst mal. Vielleicht hatte der Zauber des Weißen ihn ja vertrieben…
    Der Jäger trat aus dem Wald hinaus auf das offene Grasland. Am Horizont konnte er einen ersten rötlichen Schimmer erkennen. Der Tag stand dicht bevor.
    Wantapari stimmte eine neue Melodie an, während die Stimmen der anderen Krieger verstummten. Nur er wußte, wo sich Zamorras Körper befand, deshalb konnte auch nur er allein den Weg singen.
    Die Krieger sahen sich nervös um. In einiger

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