0681 - Leichenschiff der Druiden
Außerdem erhielt ich jetzt die Chance, mir das geheimnisvolle Schiff näher anzusehen.
Für mich war es ein Leichenschiff, ein Totenschiff, als wäre die Pest unter der Besatzung ausgebrochen.
Und es musste sehr alt sein, denn diese Bauweise war mir unbekannt. Wenigstens wurden heute solche Schiffe nicht mehr gebaut. Dieses hier bestand aus einem Mittelding zwischen Kogge und Schoner. Meiner Ansicht nach bewegte es sich schwerfällig über das Wasser, aber es schien keine Furcht davor zu haben, an irgendwelchen Felsen zerschellen zu können, denn es glitt auch weiterhin unbeirrt auf den Küstenstreifen zu, als würde es von unsichtbaren Händen gesteuert.
Die Spannung hatte bei mir einem ungemein starken Drang der Neugierde ausgelöst. Ich wollte unbedingt an Bord gehen.
Schneller als zuvor kletterte ich dem Grund entgegen. Es klappte besser, als ich gedacht hatte. Es war wie beim Bergwandern. Ein schmaler Pfad führte in Kehren dem Ziel entgegen. Das Rauschen der Wogen tönte wie gewaltige Musik in meinen Ohren. Gischtwolken sprühten mir entgegen, als ich mein Ziel erreichte und im Sand stehen blieb.
Auch der Segler war näher an den Strand herangekommen. Erst jetzt erkannte ich das magische Phänomen. Das Schiff brauchte keine Rücksicht auf Erhebungen, Stürme oder Klippen zu nehmen, denn es war von einem türkisfarbenen Licht umgeben, das bei ihm wie eine Zone der Sicherheit wirkte.
Der »Fliegende Holländer«, ein Geisterschiff, dessen Mannschaft aus Verfluchten bestand, schoss mir durch den Kopf.
Noch war das Schiff so weit von mir entfernt, dass ich nichts riskieren konnte.
Aber es näherte sich unaufhaltsam. Es tanzte zitternd über die Felsklippen hinweg. Ich sah auch mehrere Taue, die über das Schanzkleid hinweg nach unten hingen.
Mit raschen Schritten erreichte ich einen kleinen Felsbuckel, richtete mich auf und war überrascht von der Größe des Schiffes. Aus der Nähe betrachtet war es schon ein regelrechtes Monstrum.
Dann sprang ich - und griff zu.
Es war leicht für mich, eines der Taue zu schnappen. Mit beiden Händen umfasste ich das braune, schlangengleiche Gebilde, hielt mich fest, wurde mitgezogen und hatte für einen Moment den Eindruck, als wäre ich durch eine dünne Schicht gelaufen, die mich nur wie ein feiner Hauch berührte und dann wieder verschwand.
War es der Eintritt in eine andere Dimension gewesen, in ein Zeitloch, das für mich sichtbar war?
Ich machte mir darüber keine Gedanken, hielt mich weiterhin fest und drückte die Beine so weit vor, dass ich meine Füße gegen die Bordwand stemmen konnte.
Dann hangelte ich mich hoch.
Abstemmen, nachfassen, wieder abstemmen und nachfassen. Es waren Bewegungen, die mir glatt und sicher von der Hand liefen, als hätte ich sie jahrelang geübt.
Alles klappte bestens. Schanzkleid und Reling rückten näher. Kein Kopf schaute darüber hinweg.
Ich hörte nur den Wind und bekam das sanfte Schaukeln des Seglers mit, der seinen Kurs geändert hatte.
Ich schwang mich über das Schanzkleid hinweg, rollte an der anderen Seite herunter und fiel auf das Deck, dessen Holzplanken ziemlich hart waren. Ich rollte weiter, wurde erwischt von den typischen Bewegungen des Schiffes. An das rollende Auf und Ab musste ich mich zunächst gewöhnen.
An einem festgezurrten Fass fand ich Halt und stemmte mich auf die Beine.
Über meinem Kopf bauschten sich die gewaltigen hellen Segel auf. Der Wind fuhr in die Tücher hinein. Das Knattern und Rauschen schien aus zahlreichen Stimmen zu bestehen, die sich innerhalb des Tuchs zu einem Wispern, Raunen und leisem Schreien vereinten, als wären gequälte Seelen dabei, mir ein Konzert zu geben.
Das war ein Erlebnis für sich. Oder hätte zumindest eins sein können, wäre eine Mannschaft vorhanden gewesen. Doch ich befand mich mutterseelenallein auf dem alten Leichenschiff, umtost von knatternden Segeln, die auf ein geheimes Kommando zu reagieren schienen.
Es gab Kreuzfahrtschiffe, wo die Segel per Computer gehisst und in die entsprechenden Positionen gebracht wurden. Das war hier ähnlich, nur gehorchte dieses Schiff den Gesetzen der Magie.
Bevor ich eine nähere Untersuchung vornahm, schaute ich zurück zur Küste.
Sie war zu sehen, aber sie war verdammt weit weg. Einzelheiten verschwanden bereits. Sie kam mir vor wie eine gewaltige graue Mauer. Zum ersten Mal dachte ich daran, einen Fehler gemacht zu haben. Wenn das verdammte Schiff aus irgendeinem Grunde zerstört wurde, paddelte ich in der
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