Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0683 - Monster aus dem Schlaf

0683 - Monster aus dem Schlaf

Titel: 0683 - Monster aus dem Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
räusperte sich. »Wie ist dein Name?«
    »Mary Jane, aber ich habe es lieber, wenn du mich Marie Jeanette nennst.«
    Henry nickte.
    Marie Jeanette, dachte er, Jack wird dich lieben…
    ***
    Gegenwart
    »Ach ja, die Geschichte des East Ends ist voller Gewalt, Verbrechen, Sex, Mord und Totschlag, besser als Fernsehen, wenn Sie mich fragen.«
    Der alte Mann schlurfte neben Nicole durch den langen Gang, an dessen Wänden Bilder, Fotos und Stiche des Stadtviertels scheinbar wahllos angebracht waren.
    »Das gilt natürlich nicht für alle Teile, wissen Sie«, fuhr er fort. »Oben in Hackney wird's langweilig, aber wenn Sie sich für Whitechapel und Aldgate interessieren, kann ich Ihnen richtig was bieten. Ich finde es sehr gut, wenn sich Touristen nicht nur den Tower ansehen wollen, sondern wirklich etwas über eine Stadt lernen wollen. Und da sind Sie in meinem kleinen Museum richtig aufgehoben. Wussten Sie eigentlich, dass Heinrich, der Achte…«
    Nicole ließ ihn reden. Sie hätte nicht gedacht, dass der relativ kurze Weg von der Eingangstür bis zum eigentlichen Archiv so lang erscheinen konnte, aber Henry Smith, so hatte sich der alte Mann vorgestellt, gab sich alle Mühe, den Weg zu verlängern.
    Dabei war sich Nicole sicher, dass er es nur gut meinte.
    Sie hatte sich als Touristin ausgegeben, die mehr über die Geschichte Whitechapels erfahren wollte. Mit diesem Vorwand hatte sie Smith zwar davon überzeugen können, ihr das Archiv zu öffnen, das normalerweise nur Ahnenforschern zur Verfügung stand, gleichzeitig hatte sie damit jedoch auch einen wahren Sturzbach historischer Anekdoten beschworen, die ebenso ungeordnet wie die Bilder auf sie einbrachen.
    Ob es sich um die berühmten Straßenräuber des 18. Jahrhunderts handelte oder um geheime Bunkeranlagen aus dem Zweiten Weltkrieg - Smith sprach über jedes Ereignis, als wäre er selbst dabei gewesen. Theoretisch hätten seine Erzählungen sehr interessant sein können, praktisch litten sie jedoch darunter, dass er jede Geschichte nur anriss und dann ohne jeglichen Übergang zur nächsten sprang. Nicole nahm an, dass das Museum nicht gerade ein Publikumsrenner war. Sonst hätte er wohl kaum Zeit gehabt, sich einem einzelnen Besucher so intensiv zu widmen.
    Endlich kamen sie ans Ende des Gangs.
    »So«, murmelte Smith und zog einen Schlüssel aus seiner abgewetzten Strickjacke hervor. »Jetzt haben Sie ja schon einen groben Eindruck von dem bekommen, was die Geschichte Whitechapels ausmacht.«
    Mit zitternden Fingern steckte er den Schlüssel in das altmodische Schloss, drehte ihn aber nicht um, sondern sah Nicole aus wässrigen blauen Augen an.
    »Wissen Sie«, sagte er nachdenklich, »früher war doch alles besser. Da gab es Dramatik, Liebe und Tod in den Geschichten. Heute geht es doch nur noch um Kinderbanden und die National Front - verdammte Bastarde!«
    Er hielt einen Moment inne und schüttelte dann den Kopf. »Ach, was soll's.«
    Nicole wollte ihm darauf antworten, aber Smith drehte bereits den Schlüssel und stieß die Tür auf. »Willkommen in der Geschichte.«
    Der Raum, in den Nicole trat, war unerwartet groß, fast schon wie eine Halle. Die Wände waren voller Regale, in denen Aktenordner mit handschriftlichen Bezeichnungen standen. Zeitungen und Magazine bedeckten den Boden. In Leder gebundene Kirchenbücher lagen aufeinandergestapelt neben einem kleinen Schreibtisch, über dem eine einzelne Glühbirne hing.
    Ein Chaos aus Druckerschwärze, Tinte und Papier.
    Merde, dachte Nicole enttäuscht. Wie soll ich hier jemals etwas finden?
    Hinter ihr schloss Smith diskret die Tür.
    In seinen Augen lag ein eigentümliches Leuchten, das Nicole jedoch nicht bemerkte.
    ***
    Zamorra musste seinen Ausweis nicht vorzeigen, als er zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit das Hochhaus betrat. Der Wachmann, der desinteressiert auf einem Sandwich kaute, hatte ihn auf dem Monitor gesehen und direkt die Tür geöffnet.
    Jetzt stand der Dämonenjäger vor der Wohnung der Hales und klingelte.
    Nichts rührte sich. Er klingelte erneut.
    Hoffentlich ist sie überhaupt da, dachte er.
    »Hauen Sie ab!«, rief im gleichen Moment die dumpf klingende Stimme von Mrs. Hale durch die Tür.
    »Hören Sie«, entgegnete Zamorra, »ich will nur eine Minute mit Ihnen reden. Es ist wichtig.«
    Er sah sich auf dem langen Flur um. Es war niemand zu sehen, aber es war sehr gut möglich, dass neugierige Nachbarn hinter den vergitterten Türen standen und lauschten.
    »Ich glaube«, fuhr

Weitere Kostenlose Bücher