0685 - Tod aus der Tiefe
und jetzt fiel ihm auch auf, dass Munro sich bisher überhaupt nicht nach den Mädels umgeschaut hatte. Den anderen - Abdallah, Jimenez, Marconi und Löwengrub -wurde wie ihm selbst durchaus schon die Hose eng, und sie nutzten jede Gelegenheit, einen Blick zu riskieren.
Jimenez hatte während seiner Freiwache sogar versucht, die wilde Schwarzhaarige von gestern zu zeichnen.
Bei Munro dagegen regte sich scheinbar überhaupt nichts.
Sollte der etwa…?
Das finde ich 'raus, beschloss Präger.
Er näherte sich dem Kajütenfenster, um einen heimlichen Blick hinein zu werfen. Was machten Munro und der wirrhaarige Blonde so lange in der Kapitänskajüte?
Präger hatte das Fenster beinahe erreicht, als er hinter sich den Lufthauch einer Bewegung spürte. Er wirbelte herum, aber der Mann, der sich geräuschlos angeschlichen hatte, war schneller. Noch ehe Präger ihn sah, bekam er bereits einen kräftigen Schlag auf den Kopf und war erst mal jenseits von Gut und Böse. Dass starke Hände ihn auffingen, damit er nicht laut polternd aufs Deck schlug, bekam er schon nicht mehr mit.
***
Seneca wollte nicht bis zum nächsten Tag warten. Er hatte unbemerkt eine der Taucherausrüstungen aus dem Lagerraum geholt und angelegt. Als alles an Bord ruhig geworden war, begab er sich an Deck.
Er wusste, dass es leichtsinnig war, allein zu tauchen, vor allem in unbekannten Gewässern. Aber er war sicher, dass er durchaus allein zurechtkommen würde.
Plötzlich entdeckte er einen Mann aus der Crew, der an Deck herumschlich. Er erkannte ihn: Präger, dieser Nichtsnutz. Seneca legte keinen Wert darauf, von dem Mann beobachtet zu werden.
Also schlug er ihn nieder.
Dann ging er zur Reling und kletterte hinüber, ließ sich ins Wasser fallen.
Den Gedanken, dass es vielleicht besser gewesen wäre, Zamorra von seinem Versuch zu unterrichten, verdrängte er schnell wieder. Zamorra war ihm zu zögerlich und teilweise zu inkonsequent. Wenn man etwas erreichen wollte, durfte man nicht erst lange nach Sicherheit suchen, man musste es einfach tun. Reagieren konnte man, wenn es an der Zeit war.
Er hielt das Mundstück des Luftschlauchs zwischen den Zähnen und ließ sich abwärts sinken. In einer Wadenscheide steckte ein langes Messer mit versilberter Klinge, und in einer Schlaufe am Gürtel hing eine Schockwaffe, die auch unter Wasser funktionierte. Er hoffte, dass das reichte, wenn er wider Erwarten angegriffen werden sollte. Wenn nicht, musste er sich eben etwas einfallen lassen. No risk, no fun.
Er tauchte langsam und vorsichtig, nahm sich Zeit, sich an die unterschiedlichen Druckyerhältnisse zu gewöhnen. In der Aqualunge war Sauerstoff für etwa zweieinhalb Stunden. Das musste reichen. Er musste nur darauf achten, dass er rechtzeitig wieder aufstieg - das nahm ebensoviel Zeit in Anspruch wie das Abtauchen, weil er sich dann abermals umstellen musste. Was vor ein paar Stunden dieser Gryf ap Llandrysgryf über japanische Perlentaucher gesagt hatte, war Unsinn - vierzig Meter schafften die nie. Höchstens die Hälfte, und vermutlich war das auch schon übertrieben. In 40 Metern Tiefe sahen die Druckverhältnisse schon ganz anders aus als nur ein paar Meter unter der Wasseroberfläche.
Wesentlich tiefer würde Seneca ohnehin nicht tauchen - zumindest nicht mit dieser Ausrüstung. Aber er wusste, dass das Wrack nicht tiefer lag, dass er wahrscheinlich nicht mal ganze 40 Meter tief hinab musste. Der Meeresgrund war hier entsprechend hoch gelagert. Nur ein paar hundert Meter weiter ging es schon tiefer hinab. Dort würde er einen massiven Druckpanzer brauchen.
Er nahm sich Zeit. Hin und wieder warf er einen Blick auf das Kombi-Instrument an seinem Handgelenk, das ihm Zeit und Wasserdruck beleuchtet anzeigte. Er hielt Ausschau nach einem dämonischen Wesen.
Es musste hier unten sein. Er wusste es.
Es war damals hier gewesen, und es war auch heute hier. Alles andere wäre unlogisch.
Seneca erinnerte sich an damals.
An seine Zeit als Kapitän des Frachters…
***
...ja, wenn es denn wirklich ein Frachter gewesen wäre. Äußerlich ja. Drinnen gab es auch die großen Frachträume. Aber es gab auch die Kanonen, mit denen er den englischen Piraten versenkt hatte.
Erst hatte er ihn lahmgeschossen, ihm den Hauptmast gefällt und die Takelage der anderen Masten weggefetzt. Senecas Leute waren erstklassig.
Der Coup war prachtvoll gelungen.
Die verdammten Piraten hatten geglaubt, ein hilfloses Frachtschiff vor den eigenen Kanonen zu haben.
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