0685 - Tod aus der Tiefe
die Gabe, nichtmenschliche Magie wahrnehmen zu können. Diese Para-Fähigkeit hatte sie von dem verstorbenen Bjern Grym geerbt. Wie sie funktionierte, hatte auch Zamorra bisher noch nicht herausfinden können. Eine Analogie zu Merlins Stern, seinem Zauberamulett, schien es jedenfalls nicht zu geben.
»Hast du schon mit Gryf und den Zwillingen darüber gesprochen?«, fragte Nicole. Sie selbst konnte Schwarze Magie ebenfalls fühlen, wenn auch nicht in dem relativ starken Maß wie April. Dafür war sie als Telepathin besser - in jenem Bereich aber unschlagbar die Silbermond-Druiden Gryf und Teri sowie die Peters-Zwillinge.
Zamorra rief das Amulett mit einem telepathischen Befehl zu sich. Die handtellergroße, reich mit Symbolen verzierte Silberscheibe flog von ihrem gegenwärtigen Platz auf einem Sidebord direkt in seine ausgestreckte Hand. Mit zwei Fingern verschob er zwei der eigenartig geformten Hieroglyphen und aktivierte Merlins Stern damit. Per Gedankenbefehl ließ er die Zauberwaffe dann nach Schwarzer Magie suchen.
Erfolglos.
Es hätte ihn auch gewundert; das Amulett hätte die Nähe der bösartigen Magie eigentlich auch von selbst melden müssen. Immerhin war die SEASTAR nicht entsprechend abgeschirmt, wie er schon gestern festgestellt hatte. Das sollte man vielleicht ändern. Er war sicher, dass er April früher schon einmal darauf angesprochen hatte… aber offenbar war aus dieser Sicherheitsmaßnahme nichts geworden.
»Die anderen spüren nichts«, sagte April. »Vielleicht ist es etwas, worauf nur ich anspreche.«
»Kannst du es lokalisieren?«
»Nicht sicher«, erwiderte sie. »Manchmal habe ich den Eindruck, als käme es aus zwei verschiedenen Richtungen. Aber dann ist die zweite Präsenz wieder verschwunden, taucht irgendwann kurz auf und ist wieder weg… Das ist etwas, das ich noch nicht ganz begreife. Und Seneca hat doch auch nur einen Dämon erwähnt, keine zwei.«
»Wäre auch recht unwahrscheinlich«, überlegte Zamorra. »Die pflegen ihre Machtbereiche hübsch voneinander abzuzirkeln. Dass gleich zwei so nahe beieinander hocken, kann ich mir nur schwer vorstellen.«
»Es sei denn, der eine belauert den anderen, weil er ihm sein Revier abnehmen will, und tarnt sich deshalb. Nur manchmal muss er seine Tarnung vorübergehend fallen lassen, wenn er selbst magisch aktiv werden will.«
»Könnte sein«, stimmte Zamorra zu. »Für uns wäre das gut - wir könnten die beiden gegeneinander ausspielen und hätten selbst freie Bahn.«
»Optimist«, murmelte Nicole.
»Finde ich auch nicht gut«, erklärte April. »Ich halte es für riskant. Und mir reicht es völlig, dass ich vor Jahren schon mal von einem Dämon besessen war. Ich will's nicht noch einmal erleben. Wer weiß, was dann aus mir wird.« Dem damaligen Geschehen verdankte sie es, über ihre Para-Gabe zu verfügen, die in anderer Form einmal Grym zu Eigen gewesen war. Und sie war nicht immer froh darüber, dieses magische Erbe eines toten Freundes in sich zu tragen…
Sie erhob sich.
»Ich lasse euch zwei Hübschen jetzt wieder allein. Wollte euch nur meine Beobachtung, oder wie immer man es nennen mag, mitgeteilt haben. Viel Spaß noch, ihr Nachteulen…«
Sie huschte aus der Kajüte auf den Gang hinaus.
Sekundenlang glaubte sie einen Schatten gesehen zu haben, am Ende des Ganges.
Aber alles war nächtlich still. Nur das Maschinengeräusch war zu hören; die Volvo-Turbos liefen noch unter Teillast und hielten die Yacht entgegen der Meeresströmung elektronisch überwacht an ihrer Position; bei vierzig oder mehr Metern Tiefe war es recht witzlos, den Anker zu werfen. So weit reichte die Kette nicht.
April lauschte. Keine Schritte, keine Tür. Sie musste sich wohl getäuscht haben.
Langsam kehrte sie zu ihrer eigenen Kabine in den Decksaufbauten zurück. Sie hatte gehofft, eine weitere schöne Nacht mit dem Druiden Grvf verbringen zu können, aber er war nicht da. Stattdessen sah sie in Munros Kabine Licht durchs Fenster und dahinter die Schatten zweier Männer. Aber wen Munro da zu Besuch hatte, konnte sie nicht erkennen.
Sie schloss ihre eigene Kabinentür hinter sich und ließ sich auf die Koje fallen. Wieder fühlte sie mit ihren Para-Sinnen die Nähe einer dunklen Macht.
In der Tiefe lauerte der Xull.
***
Karl Präger stand in der Dunkelheit. Er beobachtete und wartete; worauf genau, wusste er selbst nicht. Vor einer Stunde hatte er gesehen, wie Abdallah den Skipper auf der Kommandobrücke abgelöst hatte. Munro, dieser
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