069 - Ein gerissener Kerl
er dumpf hervor, »dich so zu überfallen ... aber ich gehe fort - mit mir ist's zu Ende.«
Obwohl er ihr zuwider war und sie ihn verachtete, konnte sie ihn nicht von ihrer Schwelle weisen. In ihrer Güte forderte sie ihn auf einzutreten.
Als er ihr im Musikzimmer gegenübersaß, sagte er abgerissen:
»Du bist furchtbar lieb zu mir — ich bin ein Schuft — von Jugend auf war ich ein Taugenichts. Du siehst jetzt nur, was ich jahrelang verborgen habe«, bekannte er.
»Bist du ...?«
Sie zögerte, das Wort auszusprechen.
»Ruiniert? — Ja. Ich besitze nicht einen Penny mehr. Ich habe mein Konto längst überzogen. Wenn ich hierbleibe, fassen sie mich wegen betrügerischen Bankrotts.«
Und jetzt kam er auf den Zweck seines Besuchs, der ihm unklar vorschwebte, während Guelder auf ihn eingeredet hatte.
»Jener Mantel, Ursula . du bist irgendwohin gefahren, ihn dir anzusehen, nicht wahr?«
Sie nickte zaghaft.
»Jemand hat mir gesagt, er gehöre mir . Ich verstehe nicht, wie er nach Woolwich gekommen ist — richtig, jetzt entsinne ich mich, es war Woolwich, wohin sie dich gerufen haben. — Ich habe den Mantel lange nicht gesehen, seit der Nacht, in der dein Vater starb.«
Er sah in ihren Augen die Angst aufglimmen, die sie nie in Worte fassen konnte. Doch kühn sprach er weiter.
»Natürlich will ich Guelder nicht in Schwierigkeiten bringen. Er ist ein Sonderling — plant immer irgendeine geheimnisvolle Betrügerei — leider habe ich das erst kürzlich entdeckt — und in jener Nacht . Du weißt doch, jener Nacht . borgte ich Guelder meinen Mantel und meine Handschuhe. Was aus meinem Mantel geworden ist, wußte ich bisher nicht. Aber ich will einen Eid darauf leisten, daß ich meine Handschuhe in seinem Safe gesehen habe.«
Sie atmete freudig erleichtert auf.
»Dann hat Guelder ihn getragen, als er von der Brücke geworfen wurde?«
»Wurde er denn von einer Brücke geworfen? Welcher Brücke? Aber das ist ja gleichgültig. Ich habe nicht mehr an ihn gedacht bis vor einigen Tagen.«
»Kannte Vater diesen Guelder?« fragte sie.
Er zwang sich zu einem Lächeln.
»Ob er ihn kannte? Aber natürlich. Er und Guelder hatten verschiedene Geschäfte miteinander. Dann ging irgend etwas schief — was es war, weiß ich nicht genau —, aber jedenfalls hatten sie einen schweren Streit. Ich glaube, Onkel hatte Guelder Geld geliehen, und das weiß ich bestimmt, daß dein Vater am Tag seines Todes an ihn einen Brief mit der Aufforderung schickte, ihm die Summe zurückzuzahlen, da er dringend bares Geld brauchte.«
»Davon habe ich doch keine Ahnung ...«
Doch er unterbrach sie sofort.
»Es wäre mir sehr peinlich, gegen diesen Menschen als Zeuge aufzutreten, aber ich fürchte, mir wird nicht viel anderes übrigbleiben.«
»Läuft gegen ihn ein Verfahren?« fragte sie überrascht.
Einen Moment war er perplex.
»Hm ... ich weiß nicht. Ich glaube nur, daß er Schwierigkeiten hat — er benimmt sich sehr merkwürdig seit einiger Zeit.«
»Aber das mit dem Mantel ist doch höchst wichtig«, rief Ursula erregt. »Ich bin fest überzeugt, daß kein Mensch weiß, daß Guelder ihn in jener Nacht getragen hat. Weißt du, was die Geschichte mit dem Mantel überhaupt bedeutet? Alle machen ein Wesen davon, das ich nicht verstehe.«
Ohne es zu wissen, hatte sie ihn verteidigt.
»Der Mantel? Der wird mit irgendeinem Verbrechen zusammenhängen, das Guelder begangen hat«, vermutete Julian. »Man weiß nie, wie weit solch ein Halunke geht. Ich habe nur ein Gerücht gehört, daß die Polizei den Mantel hat und ihn als Beweismittel benutzen will. Vielleicht hängt er irgendwie mit dem Mord an deinem Vater .«
Das Wort war ihm entschlüpft, ehe er es gewahr wurde.
»Mord?« schrie Ursula auf und starrte ihn entsetzt an. »Mord? Julian . Vater hat sich doch erschossen!«
Er konnte nicht sprechen, sah sie nur entgeistert an.
»Oh«, stöhnte sie.
Ganz langsam begann sie zu begreifen. Eine Woge des Grauens und des Hasses riß sie von ihm zurück.
»Dann war es kein Selbstmord?«
Ihre Stimme wurde zu einem kaum hörbaren Flüstern. »Er ist getötet worden ... ermordet ... von einem, der den Mantel trug? Und du willst mir einreden, daß es Guelder war? Du warst es! Ich sehe es dir an den Augen an, an deiner ganzen Haltung. Jedes Wort von dir verrät es mir! Ich fühle es — ganz deutlich fühle ich es plötzlich, daß du ihn ermordet hast! Deinen Onkel hast du ermordet, du elender Lump!«
Sie schleuderte ihm die Anklage
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