0691 - Die Werwölfe aus Atlantis
geben und sie fragen, ob ihr etwas aufgefallen war?
Nora wußte es nicht. Sie wollte es auch nicht wissen. In ihrer Nase brannte noch immer der Qualm, den der verkohlte Katzenbkörper abgegeben hatte.
Die Polizei anrufen!
Ja, das war die einzige Möglichkeit. Sie mußte sich mit den Beamten in Verbindung setzen, allein kam sie nicht weiter. Das lindgrüne Telefon stand auf einer kleinen Konsole. Sie machte sich auf den Weg dorthin und stellte fest, daß sie noch immer zitterte. Zweimal mußte sie sich abstützen.
Der Zettel lag neben dem Telefon!
Er war einfach nicht zu übersehen, vor allen Dingen dann nicht, wenn jemand direkt daneben stand wie Nora.
Und er war beschrieben.
Sie hatte bisher keine Brille gebraucht. Als sie gegen den Zettel schaute, da hätte sie gern eine aufgesetzt, denn die Buchstaben tanzten vor ihren Augen.
War er für sie bestimmt? Hatte etwa der Killer eine Nachricht hinterlassen?
Wer so pervers war und ein unschuldiges Tier umbrachte, dem traute sie einfach alles zu.
Mit zitternden Fingern griff sie nach dem Zettel. Sie mußte zweimal ansetzen, um den Text lesen zu können, holte dabei tief Luft und stotterte die Worte flüsternd vor sich hin.
»Wir werden bald wieder zusammen sein, meine Liebe. Ich freue mich auf dich, Nora – dein Vater!«
Sie las einmal, sie las zweimal und auch ein drittes Mal. In diesem Augenblick begriff sie die Tragweite des Ganzen, und sie merkte plötzlich, daß es fremde, unheimliche Kräfte waren, die sie umgaben. Kräfte, die rational nicht erklärt werden konnten, die möglicherweise aus einer anderen Welt stammten, die…
Ihr Vater war tot!
Beinahe brutal stachen die drei Worte durch ihr Gehirn. Verdammt noch mal, er war tot. Er hatte diese Welt vor mehr als drei Jahren verlassen und war ihrer Mutter gefolgt, die einen schrecklichen Krebstod erlitten hatte.
Und jetzt das!
Aus dem Reich der Toten hatte man ihr eine Nachricht übermittelt. Aber das konnte sie nicht glauben. Nein, das war einfach nicht möglich. Wer tot und begraben war, der kam nicht mehr zurück.
Man hatte sich mit ihr einen perversen Scherz erlaubt.
Wenn das alles stimmte, was sie annahm, dann mußte ein Töter ihre Wohnung betreten haben, um den Kater zu killen. Der Tote, der gleichzeitig ihr Vater gewesen war.
Das packte sie nicht.
Das wollte nicht in ihr Hirn.
Da weigerte sie sich einfach.
Nora ging rückwärts. Sie hatte Glück, daß einer der Sessel in der Nähe stand, und sie fiel auf den ebenfalls lindgrünen Kissenbezug des Rattanmöbels. Das Material seufzte unter der Last, als sich Nora Shane hineindrückte.
Ihr Vater, ihr Vater!
Nein, das konnte nicht sein. Er war tot. Noch deutlich erinnerte sie sich an seine Beerdigung, die zu dem Schrecklichsten gehörte, was sie je erlebt hatte.
Und jetzt…
Nora konnte nicht länger sitzen bleiben. Sie stand auf und wollte zum Telefon gehen. Sie mußte sich einfach mit der Polizei in Verbindung setzen, sie muße sich Rat holen. Die Beamten würden hier erscheinen und Spuren sichern. Möglicherweise hatte der Täter welche hinterlassen, die ihr mit bloßem Auge nicht aufgefallen waren.
Für Nora Shane blieb es beim Vorsatz. Sie schaffte es nicht mehr, das Telefon zu erreichen, als es an der Wohnungstür klingelte. Obwohl ein weicher Klang durch den Raum wehte, kam er ihr plötzlich hart und fordernd vor.
Sie blieb stehen, und auch das letzte Blut wich aus ihrem Gesicht.
Wer konnte das sein?
Ein schrecklicher Gedanke schoß in ihr hoch. Vielleicht war es der Mörder ihres Katers. Man hörte ja sehr oft, daß es den Täter immer wieder an den Ort des Verbrechens zurückzog.
Allein mit einem Killer!
Die unbekannte Person schellte weiter.
Nora hatte sich auch für heute nicht verabredet, sie erwartete keinen Besuch. Vielleicht war es wichtig. Ihre Gefühle rissen sie hin und her. Sie wußte kaum, wie sie sich entscheiden sollte. Es war der Balanceakt über einen sehr schmalen Grat, bei dem sie leicht kippen konnte.
Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig.
Sie entschied sich positiv. Als es zum viertenmal schellte, befand sich Nora schon im Flur und sah die Tür mit dem Guckloch vor sich.
Sie preßte ihr Augen gegen die Optik, schaute hindurch und sah einen blonden Mann, der keinen unsympathischen Eindruck machte und auch nicht aussah wie ein Mörder.
Aber wer sah schon aus wie ein Mörder?
Sie öffnete die Tür, bevor der Fremde noch einmal schellen konnte.
Die Kette ließ nur eine spaltbreite Öffnung
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