0691 - Die Werwölfe aus Atlantis
sagen, aber sie erschrak über die Stille, denn die Laute waren verstummt.
Nora hörte sich atmen.
Es klang nicht normal. Stoßweise drangen die Zischlaute über ihre Lippen, als wollte jemand eine alte Lokomotive wieder auf Vordermann bringen. Als ihre Augenlider anfingen zu zucken, da stellte sie fest, daß sie allmählich wieder zu sich kam.
Tief atmete sie durch.
Diesmal normaler. Gleichzeitig versuchte sie, ihre Gedankenwelt wieder zu kontrollieren und sich den Tatsachen zu stellen.
Etwas drang scharf und beißend in ihre Nase, so daß dieser Geruch einen leichten Anflug an Übelkeit erzeugte.
Nora wußte nicht, woher er kam, bis sie sah, daß der hellgrüne Qualm aus der Mikrowelle kroch. Der verbrannte Katzenkörper sonderte ihn ab.
Tot!
Benny war tot!
Sie kam sich vor, als hätte sie die Sätze geschrien, aber sie explodierten nur in ihren Gedanken. Jemand hatte ihn auf die grauenvollste Art und Weise umgebracht, die man sich nur vorstellen konnte. Wahrscheinlich war er noch lebendig gewesen…
Als sie daran dachte, überkam sie das große Zittern. Die Beine gaben in Höhe der Knie nach. Zum Glück konnte sie sich auf der Arbeitsplatte abstützen.
Wer tat denn so etwas?
Sie konnte sich keinen Menschen vorstellen, der in der Lage war, ein Tier so grausam zu töten.
Ihre rechte Hand zuckte hoch. Es war mehr ein Reflex, und es sah aus, als wollte sie ihre tote Katze streicheln, was sie aber nicht fertigbrachte, denn dicht vor der Öffnung zog sie die Hand wieder zurück. Erst jetzt konzentrierte sie sich auf die Übelkeit. Sie steckte tief in ihr, das Würgen war davon eine normale Folge, und sie hätte sich am liebsten übergeben, was sie aber nicht schaffte.
Statt dessen ging sie zurück.
Schritt für Schritt. So wie jemand, der lange im Krankenhaus gelegen hatte und sich ziemlich ungelenk bewegte. Sie schlich nach hinten, hörte das Geräusch der Sohlen, als sie über den Boden schleiften, und stieß mit dem Rücken gegen die Tür des hohen Kühlschranks, wo sie zunächst stehenblieb.
Zwischen ihr und der Mikrowelle lag eine genügend große Distanz. Eigentlich hätte sie sich erholen können, aber es wurde noch schlimmer. Aus der Entfernung sah der verbrannte Katzenkörper aus, als würde er sich leicht bewegen.
Nora bildete sich das ein, das wußte sie, und sie fuhr mit der Handfläche durch ihr Gesicht, als wollte sie dadurch den schrecklichen Anblick vertreiben.
Er blieb!
Er war da, er würde immer bleiben, er würde ihr klarmachen, daß jemand ihre Wohnung betreten, sich umgeschaut und schließlich die Katze gekillt hatte.
Ein Fremder in der Wohnung – furchtbar! Und sie war nicht zu Hause gewesen.
Sicherheit ade!
Ihre Gedanken zuckten. Sie wollte nicht mehr auf die tote Katze schauen und drehte den Kopf zur Seite. Allmählich dachte sie klarer. Auch das Muster des Teppichs verschwand nicht vor ihren Augen. Wieder fiel ihr der Begriff der Sicherheit ein.
Er war pervertiert worden, denn jemandem war es gelungen, in ihre abgeschlossene Wohnung einzudringen und den Kater zu töten.
Einfach so, ohne daß es jemand bemerkt hätte.
Diese Tatsache nagte wie Säure in ihr. Sie fühlte sich ausgelaugt, sie war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Karussell ihrer Gedanken drehte sich in einem wilden Wirbel, und Nora wunderte sich selbst darüber, daß sie anhalten konnte.
Man drang nicht einfach in eine fremde Wohnung ein und tötete eine Katze. Nein, das tat man nicht. Wenn man es trotzdem tat, dann mußte dieser verfluchte Eindringling ein Motiv haben.
»Warum?« hörte sie sich mit der Stimme einer Fremden sprechen.
»Warum tut jemand das? Wer ist so pervers?«
Sie konnte sich keinen vorstellen, denn sie hatte niemandem etwas getan, und Benny erst recht nicht.
Weshalb tötete man dann den Kater?
Sie verließ die Küche. Der Weg durch die offene Schiebetür kam ihr vor wie eine Grenze, die sie überschreiten mußte, um die Dunkelheit zu verlassen.
Jetzt stand sie im Licht, aber die Gedanken beschäftigten sich auch weiterhin mit dem Schrecken.
Sie schüttelte sich. Ein Schauer rann über ihren Rücken. Die Furcht saß wie ein Messer in ihr. Ein sehr langes Messer, zudem mit einer breiten Klinge versehen, die irgendeine unsichtbare Hand in ihrem Leib umdrehte, um die Schmerzen zu verfielfachen.
Es waren Phantomschmerzen, ausgeschickt von ihrer Seele oder von ihrer Psyche.
Was sollte sie tun?
Weglaufen, den Kopf in den Sand stecken? Der Nachbarin Bescheid
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