0691 - Die Werwölfe aus Atlantis
Hüfte. »Du bist doch so stark, jedenfalls siehst du so aus. Kann dich noch etwas erschüttern?«
»Manchmal schon.«
Sie hielten. Es war kein normales Aus- oder Weggleiten, sie stoppten mit einem Ruck, dessen Gegenreaktion sie nach vorn schleuderte und sie nachgreifen mußten.
Der Wagen bewegte sich um keinen Zoll. Suko drückte die Haltestange zurück und wollte aussteigen, aber Sing hate etwas dagegen.
Er legte ihm seine schmale Hand auf den Arm. »Nein, warte«, wisperte er ihm zu, »es geht alles automatisch.«
»Wie…«
»Da, das Licht!«
Suko starrte nach vorn. Er war überrascht und angetan, denn das Licht sah aus, als würde es aus einer Welt stammen, die irgendwo im Nichts lag und erst jetzt einen Gruß schickte.
Suko konnte dieses Licht nicht als gelb, weiß oder hell beschreiben, obwohl alle drei Komponenten darin vertreten waren, am stärksten jedoch war der bläuliche Schein, der auch einen Stich ins Grünliche besaß und der so gut wie gestaltlos war, zudem schmal und zugleich unermeßlich lang. Das Licht stammte von irgendwoher, möglicherweise aus einer anderen Welt, wobei es der Schein geschafft hatte, Brücken zwischen Welten und Zeiten zu bilden.
Noch lag er ruhig da, von beiden angestarrt, und Suko hörte neben sich das schnelle Flüstern.
Sing redete in einer Sprache, die er schon gehört hatte, wobei er aber nicht wußte, wo er sie hinstecken sollte. Er unterbrach den Jungen.
»Was sprichst du da?«
»Kannst du mich nicht verstehen?«
»Nein.«
»Dann bist du möglicherweise der Falsche.«
»Kann schon sein. Aber wofür der Falsche?«
»Für die Aufgabe. Ich spreche in der uralten Sprache der Atlanter. Hörst du?«
Suko saß da wie ein Denkmal. Natürlich, es war die alte Sprache der Atlanter, deshalb hatte er sich auch irgendwie an sie erinnert, oder sie war ihm zumindest bekannt vorgekommen.
Und der Junge kannte sie.
Welch ein Rätsel!
Aber auch lösbar.
Bestimmt – und Suko rechnete damit, daß er sogar in den folgenden Minuten die Antwort finden würde.
»Woher kennst du diese Sprache?«
»Wir kennen sie alle hier.«
»Wer ist wir?«
»Meine Familie.«
Das konnte man glauben oder nicht. Suko glaubte dem Jungen. Er fuhr mit der Zungenspitze über seine trockenen Lippen und dachte daran, daß der Name Kara gefallen war. Er allein hatte dafür gesorgt, daß Suko und sein Freund John überhaupt hergekommen war. Sie war die erste Brücke zu dem längst versunkenen Kontinent gewesen, die Sprache des jungen Sing die zweite.
Wie sollte das enden?
Er wußte nichts, er kam sich plötzlich verloren vor, und wurde wieder an einen Spielball erinnert.
Im Licht bewegte sich etwas.
Suko konnte nicht erkennen, ob vorn oder hinten. Die Perspektiven waren einfach zu veschwommen.
Aber es kam jemand.
Füße berührten den Boden so gut wie nicht. Die Gestalt schwebte herbei. Ein Wesen, das Raum und Zeit überwinden konnte. Sing stöhnte neben Suko auf. Der Inspektor konnte sich vorstellen, daß ein Schauer über den Körper des Jungen rieselte.
Die Gestalt nahm Umrisse an. Suko erkannte, daß er gegen einen Frauenkörper schaute.
Dunkle Haare, die ein feingeschnittenes Gesicht umwehten, das auch die Bezeichnung klassisch verdiente. Ein langes Kleid, dessen Farbe von dem Glanz des Lichtes aufgesaugt wurde, so daß sie beinahe eins waren. Aber das alles war nur zweitrangig für den Beobachter, Suko holte tief Luft, sogar im Dunklen lächelte er, denn er hatte die Frau erkannt, die auf sie beide zuschwebte.
»Freut es dich?« erkundigte sich Sing leise.
»Das kannst du wohl sagen.«
»Muß ich dir den Namen noch nennen?«
Suko schüttelte den Kopf. »Das brauchst du nicht. Ich weiß, wer sie ist. Kara, die Schöne aus dem Totenreich…«
***
Ich war überrascht. Hatte diese für mich fremde Frau mich etwa erwartet?
Wohl kaum, aber eines stand fest. Nora Shane machte einen erleichterten Eindruck. Sie schloß die Tür sehr schnell hinter mir wieder zu, als hätte sie Angst davor, daß ich es mir anders überlegen und weglaufen könnte. Sie lehnte sich sogar mit dem Rücken dagegen, atmete einige Male tief durch, bevor sie hervorstieß: »Sie schickt der Himmel!«
»Wenn Sie das meinen.«
»Ja, das meine ich.«
Ich hatte längst erkannt, daß mit ihr einiges nicht in Ordnung war.
Sie sah aus, als hätte sie geweint, jedenfalls waren ihre Augen gerötet. Das rotblonde Haar wirkte wie toupiert, und es sah jetzt aus wie ein leicht gefärbter Haufen Stroh, der auf ihrem Kopf
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