0691 - Schwester der Nacht
Eduard und Jean waren es schon als Menschen gewohnt gewesen, in absoluter Dunkelheit ihren Machenschaften nachzugehen.
Als Vampire hatten sie erst recht keine Schwierigkeiten damit, durch finstere Gassen zu rennen.
Als sie die Eisengitter des Père-Lachaise überwanden, war es zum Glück noch immer Nacht. Ihr vampirischer Instinkt zeigte den beiden untoten Ganoven den Weg zur Gruft von Vivien Lafayette.
Da verharrten sie plötzlich!
Jean und Eduard waren nicht allein auf dem großen Friedhof. Irgendwo trieben sich Menschen herum!
Frisches Blut…
Obwohl es kurz vor Sonnenaufgang war, schlug die Blutgier wieder zu. Sie wurde noch stärker als die Furcht vor dem Tagesgestirn. Die Vampire sprangen über Gräber und glitten an Grüften vorbei. Sie spürten förmlich die Nähe von zwei lebenden, atmenden Körpern…
Plötzlich ertönte eine Stimme.
»…wenn du, der ehrwürdige Professor Zamorra, einen schmutzigen Gehrock hast!«
Jean und Eduard blickten sich an. Sie konnten fast nicht glauben, was für ein Glück sie hatten. So eine Gelegenheit würde niemals wieder kommen.
Die beiden vampirischen Verbrecher flankten über die Gräber und stürzten sich auf ihre Opfer!
***
Kurz zuvor
Zamorra hatte einen seiner Zeitreise-Ringe benutzt, um in das Jahr 1869 zu gelangen, Einst hatte Merlin dem Dämonenjäger zwei dieser Kleinode geschenkt. Der Zeitring mit dem blauen Stein war für Reisen in die Zukunft, jener mit dem roten Stein für Trips in die Vergangenheit gedacht. Zamorra musste den jeweiligen Ring einige Male an seinem Finger drehen und dabei Merlins Machtspruch zitieren.
Eine oder zwei weitere Personen konnte er auf seinen Zeitreisen mitnehmen.
Der Parapsychologe und seine Lebensgefährtin traten ihre Mission vom Friedhof Père-Lachaise aus an. Beide hatten noch überlegt, ob es einen günstigeren Platz in Paris gab. Aber es war ihnen nichts eingefallen. Auf einem Friedhof konnten sie relativ sicher sein, dass sowohl ihre Abreise als auch ihre Rückkehr kaum bemerkt werden würde.
Nicole hatte es übernommen, für sie beide Kleidung im Stil des 19. Jahrhunderts zu besorgen. Die Französin kam sich vor wie bei einem Maskenball, als sie und Zamorra in ihrer bürgerlichen Montur längst vergangener Tage den Père-Lachaise betraten.
Bis auf ein paar ergraute Späthippies begegneten sie an diesem frühen Morgen keiner Menschenseele. Zamorra und Nicole nahmen zwischen einigen Grabhäusern Aufstellung.
Der Dämonenjäger zitierte den Machtspruch.
Es gab einen kurzen Moment der inneren Anspannung. So wie bei einem Expresslift, der schnell abwärts rast. Dann war schon alles vorbei.
Zamorra und Nicole fanden sich im Jahr 1869 wieder.
Die Dämonenjägerin blickte sich um. Es war finstere Nacht. Ein warmer Nachtwind blies die Wolken auseinander. Im fahlen Mondschein erblickte Nicole ihren Lebensgefährten, der mit einem Fuß umgeknickt war und sich die Hose an frisch aufgeworfener Erde beschmutzt hatte.
Schnell zog die Dämonenjägerin eine winzige Blendlaterne aus ihrer Handtasche. Sie hatte das antike Ding noch in aller Eile auf dem Trödelmarkt besorgt.
Zamorra und Nicole mußten vermeiden, moderne Ausrüstungsgegenstände in die Vergangenheit mitzunehmen. Das war zu riskant. Außerdem mussten sie alles, was sie bei sich führten, wieder mit zurücknehmen. Sonst hätte ein Zeitparadox entstehen können.
Zamorra klopfte sich fluchend den Schmutz von der Kleidung.
Nicole zog grinsend ein parfümiertes Spitzentaschentuch hervor und begann damit, den Stoff zu säubern.
»Männer!«, schimpfte sie lächelnd. »Immer müsst ihr euch dreckig machen. Was sollen die Herrschaften des Jahres 1869 nur denken, wenn du, der ehrwürdige Professor Zamorra, einen schmutzigen Gehrock hast!«
Der Parapsychologe wäre gerne auf ihren liebevollen Spott eingegangen. Aber in diesem Moment begann sein Amulett leicht zu vibrieren und erwärmte sich dabei.
Schwarze Magie!
Und da waren sie auch schon, die Nachtgestalten!
Wie zwei Fleisch gewordene Albträume stürzten sich die Vampire auf Zamorra und Nicole. Einer riss den Dämonenjäger zu Boden, der andere packte seine Gefährtin, um ihr die Fangzähne in die Halsschlagader zu jagen!
***
Capitaine Georges Bourdelle von der französischen Kaisergarde kämmte sorgfältig seinen Backenbart.
Der stellvertretende Kommandeur der Elitetruppe legte großen Wert auf sein Aussehen. Leider zwickte die Uniform in letzter Zeit immer mehr. Der Wein und das gute Essen forderten
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