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0691 - Schwester der Nacht

0691 - Schwester der Nacht

Titel: 0691 - Schwester der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Barkawitz
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ihren Tribut.
    Mit einfachen Worten: Capitaine Bourdelle wurde zu dick.
    Schon jetzt musterten die Stallknechte seinen Rappen mit mitleidigen Blicken. Das arme Tier war immer am Ende seiner Kräfte, wenn es den Offizier wieder einmal stundenlang auf seinem Rücken hatte tragen müssen.
    Die Kaisergarde war nun mal eine berittene Einheit.
    Doch in dieser Nacht zog Bourdelle die Uniform aus, um in einen bequemen Zivilanzug zu schlüpfen. Leider hingen die maßgeschneiderten Kleider nicht dort, wo sie sein sollten.
    Wütend klappte Bourdelle den Kleiderschrank seines Quartiers zu. Mit zorngerötetem Gesicht läutete er nach seinem Burschen.
    Der junge Gardist Pierre erschien nach zwei Sekunden und salutierte. Trotzdem war der Offizier unzufrieden.
    »Wo ist der verdammte schwarze Anzug, Pierre?«
    Der Bursche nahm Haltung an.
    »Ich habe ihn zum Aufbügeln gegeben, mon Capitaine! Ich konnte ja nicht ahnen…«
    »Du sollst nicht ahnen, sondern Befehle ausführen!«, schnarrte Bourdelle. »Sofort gehst du in die Regimentsschneiderei und bringst mir den Anzug zurück! Kapiert?«
    »Jawohl!«
    Pierre grüßte militärisch und knallte die Tür hinter sich zu.
    Missvergnügt schälte sich der Offizier inzwischen aus dem schweren Brustpanzer. Er kam sich vor wie eine Krabbe. Der Panzer, ein Stahlkürass, bot kaum Schutz gegen die Repetierwaffen des späten 19. Jahrhunderts. Ganz zu schweigen von dem Raupenhelm, der dem Kopfschmuck der römischen Göttin Minerva nachempfunden war.
    Aber die französische Armee hielt nun einmal auf Tradition.
    Doch wer schon so viel Körpergewicht mit sich herumschleppte wie Capitaine Bourdelle, der stand modernen und bequemeren Uniformen sehr aufgeschlossen gegenüber.
    Während Bourdelle seine feisten Oberschenkel von den weißen Reithosen aus Wildleder befreite, dachte er an den zurückliegenden Tag.
    Nicht jedem Soldaten Seiner Majestät war es vergönnt, so nahe beim Kaiser Dienst zu tun!
    Capitaine Georges Bourdelle sah Napoleon III. praktisch jeden Tag. Der Offizier und seine Kameraden bewachten den Herrscher Frankreichs rund um die Uhr. An diesem Tag hatten sie Napoleon III. ins Pariser Zentrum begleitet.
    Unter Leitung von Baron Haussmann wurden dort große, neue Boulevards durch die alten Elendsviertel geschlagen, die zu verschwinden hatten.
    Bourdelle lächelte sein rundes Spiegelbild an. Paris wurde mit jedem Tag prächtiger. Schon jetzt war die französische Hauptstadt die schönste Metropole der Welt. Jedenfalls seiner Meinung nach.
    Und bei dem Wort Schönheit musste der dickliche Offizier sofort an die Dame denken, mit der er in dieser Nacht verabredet war.
    Ein Vollweib, das jedem echten Mann den Atem rauben konnte…
    Neben dem Essen und dem Wein waren die Frauen die dritte große Leidenschaft im Leben des Capitaines der Kaisergarde.
    Plötzlich sah -Bourdelle nicht mehr sich selbst im Spiegel vor sich. Er stellte sich die schlanke und doch üppige Gestalt seiner Angebeteten vor. Ihr langes, brünettes Haar, das auf die bloßen Schultern fiel…
    Denn in seiner Fantasie war sie nackt.
    Heute Nacht würde Bourdelle diese Frau in seinen Armen halten. Schon der Gedanke daran brachte ihn fast um den Verstand…
    Eine Faust wummerte gegen die Tür.
    Der Offizier schrak aus seinen Tagträumen hoch.
    »Ja?«
    Pierre kam zurück, den schwarzen Anzug sorgfältig in Seidenpapier eingeschlagen.
    »Der Schneider hat die geplatzte Naht bereits repariert, mon Capitaine!«
    »Gut, gut!« Bourdelle griff sich den Anzug. Er fühlte sich verpflichtet, dem Burschen etwas Nettes zu sagen. Bourdelle war schließlich kein Unmensch. Er platzte nur fast vor Ungeduld, diese junge Brünette endlich zu besitzen! Vertraulich kniff der fünfzigjährige Offizier ein Auge zu.
    »Ich habe heute nämlich eine Verabredung, Pierre! Ein Rendezvous, von dem weder Madame Bourdelle noch sonst jemand etwas erfahren sollen. Du bist noch jung. Aber später wirst du begreifen, dass man diskret vorgehen muss. Darum trage ich auch nicht die Uniform, sondern den schwarzen Anzug!«
    Der Bursche nickte demütig.
    Doch Pierres Gedanken waren alles andere als respektvoll.
    Ich weiß Bescheid, du alter Wildeber! Wenn du dir nicht gerade mit dem Kommandanten die Hucke voll säufst oder dich durch die Offiziersmesse frisst, gehst du an der Place Pigalle herumhuren! Kann mir nur recht sein. Wenn du nicht hier bist, kannst du mich wenigstens nicht herumkommandieren.
    Aber der Offiziersbursche salutierte artig wie ein

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