0691 - Schwester der Nacht
Bilderbuchsoldat und schnarrte: »Haben mon Capitaine noch einen Wunsch?«
Bourdelle kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.
»Ja, bring mir mehr Pomade. Diese Tube geht gleich zur Neige.«
Pierre drehte sich um und holte das Gewünschte. Als er zurückkam, hatte sich der Capitaine bereits in Schale geworfen.
Der Bursche musste zugeben, dass der Schneider fast ein Wunder vollbracht hatte. In dem schwarzen Anzug wirkte Bourdelie fast wie ein schlanker, kräftiger Mann und nicht wie ein Fettkloß, dem der Bauch unter dem Brustpanzer hervorquoll.
Mit einem Zerstäuber parfümierte der Capitaine seinen Backenbart.
»Ich gehe jetzt!«, verkündete er. »Schöne Frauen soll man nicht warten lassen!«
Abermals salutierte Pierre.
»Jawohl, mon Capitaine!«
Als sich die Tür hinter dem übergewichtigen Offizier geschlossen hatte, warf sich der Bursche erst einmal in den Sessel, legte die schwarzen Reitstiefel auf den Tisch und drehte sich in Ruhe eine Zigarette.
Pierre sollte der Letzte sein, der Capitaine Georges Bourdelie als lebenden Menschen sehen würde.
***
Zamorra reagierte reflexartig.
Mit einem Judogriff nutzte er die Kraft des Vampirs aus und ließ den Blutsauger an seinem Rücken hinabgleiten. Der Dämonenjäger wusste, dass ihm nur wenige Sekunden blieben. Die Geschöpfe der Nacht waren schnell und übermenschlich stark.
Zamorra packte Merlins Sterin und verschob einige der geheimnisvollen Hieroglyphen auf der Oberfläche. Als sich der Vampir umgedreht hatte und Zamorra erneut angreifen wollte, jagte der Parapsychologe ihm einen silbernen Blitzstrahl aus dem Amulett entgegen.
Der Blutsauger wusste offenbar nicht, dass Zamorra über eine solche Waffe verfügte. Jedenfalls hatte er ihr nichts entgegenzusetzen.
Panisch riss der Vampir sein Maul auf. Im Licht des Mondes und der zu Boden gefallenen Blendlaterne waren die Fangzähne deutlich zu erkennen.
Doch der Blutsauger konnte sie nicht mehr einsetzen. Nie mehr.
Der silbern flirrende Strahl weißer Magie aus dem Amulett traf mitten in sein schwarzes Herz. Die dämonische Energie in ihm wurde vernichtet. Zurück blieb nur ein vergangener menschlicher Körper, der endlich sterben konnte.
Inzwischen kämpfte Nicole Duval wie eine Furie gegen den zweiten Vampir.
Sie hatte allerdings einen großen Vorteil.
Im 19. Jahrhundert traute man Frauen keine Kämpferqualitäten zu und nahm sie grundsätzlich nicht für voll. Da bildete dieser Blutsauger offenbar keine Ausnahme. Er glaubte, leichtes Spiel zu haben und mit der Dämonenjägerin spielen zu können wie eine Katze mit der Maus.
Das wurde ihm zum Verhängnis.
Der Vampir zerfetzte Nicole Kleid am Halsausschnitt, um seine Zähne besser in ihre Halsschlagader versenken zu können. Allerdings stieß er nicht sofort zu, sondern starrte sie eine Zeit lang an.
Entweder wollte er sie hypnotisieren, was Vampiren dann und wann mal gefiel. Oder sein Opfer sollte noch ein wenig mehr Angst bekommen.
Beides schlug fehl.
Mit ihren schwachen Para-Kräften bemerkte Nicole, dass sie es mit einem »Anfänger« zu tun hatte. Dieses Höllengeschöpf war kein uralter Vampir, der schon seit Jahrhunderten sein Unwesen trieb. Dem wäre ein solcher Fehler nicht unterlaufen. Ein erfahrener Dämon hätte auch bemerkt, dass Nicole eine ernst zu nehmende Gegnerin war.
Während der Vampir sich an ihrer scheinbaren Panik ergötzte, zog Nicole unauffällig einen geweihten Silberdolch aus ihrer Handtasche. Sie hatte diese Waffe in aller Eile besorgt und vor der Abreise in einer Pariser Kirche weihen lassen. Im Kampf gegen Vampire konnte ihr die Klinge allemal nützlich sein.
In dem Moment, als der Vampir ihr Blut trinken wollte, stieß Nicole gleichzeitig den Silberdolch vor.
Überrascht riss der Blutsauger die Augen auf. Genau wie sein Kumpan wurde er mitten in die Brust getroffen. Die weißmagische Waffe durchbohrte sein dämonisch verseuchtes Herz.
Wie ein Sack alter Kleider fiel der Vampir auf eine Grabstelle.
Schwer atmend richtete sich die Französin auf. Die Gefahr war vorbei.
Im nächsten Moment war Zamorra an ihrer Seite.
»Alles in Ordnung, Cherie?«
Nicole nickte. »Nur das Kleid ist etwas zerrissen. Aber wenn ich die Stola am Hals zusammennehme, sieht man es nicht.«
Ein paar Minuten lang standen Zamorra und Nicole in zärtlichar Umarmung zwischen den Grabhäusern.
»Vielleicht hattest du doch Recht, Cherie«, gab Zamorra zu bedenken. »Vielleicht sollten wir wirklich in eine Falle tappen?«
Die Dämonen
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