0696 - Horror aus dem Eis
dreißig Zentimeter Neuschnee gefallen waren. Wenn es Spuren gegeben hatte, lagen sie jetzt darunter begraben.
Unter diesen Umständen hatte er Waterman angewiesen, sich auf die Suche nach den beiden Fremden zu machen, was dieser mit einer ganzen Litanei wilder Flüche kommentiert hatte.
Tagak ließ ihn gewähren und wartete geduldig, bis der Constable sich beruhigt hatte. Er wusste, dass Waterman seine Aufgabe gewissenhaft erfüllen würde, auch wenn er dabei fluchte wie ein Walfänger.
Die Gedanken des Sergeants wandten sich den beiden Fremden zu, die im Sturm verschollen waren. Er fragte sich, woher sie gekommen waren. Und was sie hier wollten.
Iqaluit war zwar die Hauptstadt der Provinz Nanuvut, aber bei gerade mal fünftausend Einwohnern immer noch sehr überschaubar. Unbekannte Gesichter fielen rasch auf, vor allem im Winter, wo es jeden in Richtung Süden zog und das einzige Solarium der Stadt auf Vierundzwanzig-Stunden-Betrieb umstellte, um mit dem Andrang fertig zu werden.
Selbst für Wissenschaftler war die Gegend uninteressant, denn die Klimaveränderungen, die in den letzten Jahren eingesetzt hatten, spielten sich noch weiter nördlich ab.
Warum kam jemand zu dieser Jahreszeit nach Iqaluit?
Tagak hatte sich nie für einen sonderlich talentierten Polizisten gehalten, aber die letzten Stunden hatten sein Misstrauen geschärft. An einem Ort, an dem es so gut wie keine Gewaltverbrechen gab, waren drei Menschen verschwunden und fast gleichzeitig zwei Fremde aufgetaucht.
Konnte das wirklich ein Zufall sein, oder gab es vielleicht einen direkten Zusammenhang?
Der Sergeant lenkte sein Schneemobil durch den auffrischenden Wind und versuchte vergeblich, aus den Puzzlestücken ein Bild zusammenzusetzen. Dafür fehlten zu viele Informationen und die konnten ihm nur die Fremden geben.
»Scheiße, ich glaub das nicht«, riss ihn Watermans Stimme aus seinen Gedanken. »Sieh mal, Bob, da ist jemand.«
Tagak bremste das Mobil ab und drehte den Scheinwerfer in die Richtung, die sein Constable angab.
Einen Moment lang irrte das Licht umher, dann hüllte es eine menschliche Gestalt ein, die sich halb stolpernd, halb gehend durch den Schnee quälte.
»Das müsste einer von ihnen sein«, bestätigte der Sergeant und gab Gas.
Der Fremde war im Lichtkegel stehen geblieben. Jetzt winkte er sichtlich erleichtert.
Tagak stoppte neben ihm und schob das Visier seines Helms hoch.
»RCMP, Sergeant Tagak«, sagte er in offiziellem Tonfall. »Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
***
»Weshalb haben die Vampire versucht, dir zu helfen, Zamorra?«, fragte Joamie.
Sie hatte Felle auf dem Boden ausgebreitet und saß dem Dämonenjäger gegenüber. Der junge Polizist und die ältere Frau waren als Späher aus der Höhle geschickt worden.
Als sie gingen, hatten sie den Blick auf einen kleinen Altar freigegeben, vor dem ein alter Mann lag. Zamorra wusste nicht, ob auch er zu den Tulis-Yon gehörte oder aus einem anderen Grund in der Höhle war. Er schien zu schlafen.
Der andere Inuk saß etwas abseits und säuberte ein altertümlich aussehendes Gewehr.
Der Dämonenjäger hob die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
Er dachte an das Amulett, das irgendwo draußen im Schnee lag, und wartete auf seine Chance. Hinter seinem Rücken zerrte er vorsichtig an den Lederriemen, mit denen man seine Hände gefesselt hatte.
Sie saßen nicht sehr fest.
»Dein Geist verschließt sich mir«, sagte die Tulis-Yon leicht überrascht. »Ich kann die Antworten darin nicht lesen. Du wirst sie mir so geben müssen.«
Als Zamorra schwieg, stand sie auf und begann in der Höhle auf und ab zu gehen.
»Du wolltest den Hong Shi stehlen, richtig?«
»Den was?«, fragte Zamorra zurück. Obwohl er den Begriff noch nie gehört hatte, glitt sein Blick wie automatisch zu dem Stein, der auf dem Altar stand.
Joamie seufzte leise. »Schon bald wirst du mit Freude jede meiner Fragen beantworten, aber es nicht mehr können. Die Verwandlung stellt seltsame Dinge mit dem Gedächtnis an. Ich habe dich nur deshalb noch nicht getötet, weil ich glaube, dass du etwas über die Vampire weißt. Wenn die Verwandlung abgeschlossen ist, wirst du dich vielleicht nicht mehr daran erinnern können.«
»Das Risiko musst du dann wohl eingehen.«
Zamorra war es endlich gelungen, einen der Liederriemen zwischen die Finger zu bekommen. Er zog und hoffte, den Knoten damit zu lockern und nicht zu festigen.
Joamie blieb stehen. Sie drehte sich zu ihm. »Du gehst
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