07 - Asche zu Asche
den Rasen vor dem Haus und die vier Betonstufen hinunter zu bugsieren. Nun stand er, teilweise eingehüllt in eine pinkfarbene Decke, vor der Erdgeschoßwohnung, mit einem Bein in einem Busch Kamille versunken, der zwischen den Steinplatten wuchs.
»Falsch!« knurrte Barbara wutschnaubend. »Total falsch, du Blödmann.«
Sie stemmte die Schulter gegen den Strick, mit dem die pinkfarbene Decke zusammengehalten wurde. Grunzend und stöhnend prüfte sie, welches Gewicht sie würde stemmen müssen, um den Kühlschrank die vier Stufen hinaufzuhieven, ihn am Haus entlang zu schieben und in ihr Häuschen am Ende des Gartens zu befördern. Es gelang ihr, ihn auf einer Seite etwa fünf Zentimeter anzuheben, aber dadurch sank das Bein auf der anderen Seite noch ein Stück tiefer in die Kamille, die der Bewohner der Erdgeschoßwohnung bestimmt zu medizinischen Zwecken angebaut hatte.
»Mist, Mist«, ächzte sie und hievte noch einmal. Der Kühlschrank sank wieder einen Zentimeter tiefer. Sie versuchte es erneut, und wieder sank er ein. »Ach, zum Teufel damit«, sagte sie erbittert, griff in ihre Umhängetasche und holte die Zigaretten hervor. Wütend ging sie zu einer Holzbank, die vor der Fenstertür der Erdgeschoßwohnung stand. Sie setzte sich und zündete eine Zigarette an. Durch die Rauchwölkchen betrachtete sie den Kühlschrank und überlegte, was sie tun sollte.
Über ihr ging ein Licht an. Eine der Fenstertüren wurde geöffnet. Barbara wandte den Kopf und sah dasselbe kleine, dunkle Mädchen, das am Abend zuvor den Tisch gedeckt hatte. Diesmal trug sie jedoch keine Schuluniform, sondern ein langes, blütenweißes Nachthemd mit einem Volant am Saum. Ihr Haar war noch geflochten.
»Ach, der gehört wohl Ihnen?« fragte das Mädchen ernsthaft, während es sich mit der großen Zehe den Knöchel des anderen Beins kratzte. »Wir haben uns schon Gedanken gemacht.«
Barbara hielt nach dem Rest des »Wir« Ausschau. Die Wohnung war dunkel bis auf einen schmalen Lichtstreifen, der aus einer offenen Tür im Hintergrund drang.
»Ich hatte vergessen, daß er geliefert wird«, sagte Barbara.
»Und dieser Dummkopf hat ihn hierhergestellt.«
»Ja«, sagte das Mädchen. »Ich habe ihn gesehen. Ich wollte ihm sagen, daß wir keinen Kühlschrank brauchen, aber er hat mir gar nicht zugehört. Wir haben schon einen, habe ich zu ihm gesagt, und ich hätte ihm unseren Kühlschrank auch gezeigt, aber wenn Dad nicht zu Hause ist, darf ich niemanden in die Wohnung lassen, wissen Sie, und er war nicht zu Hause. Aber jetzt ist er da.«
»Ja?«
»Aber er schläft. Darum spreche ich so leise. Ich möchte ihn nicht wecken. Er hat zum Abendbrot Hühnchen mitgebracht, und ich habe Zucchini gemacht, und wir haben chapatis gegessen, und dann ist er eingeschlafen. Ich darf niemand reinlassen, wenn er nicht da ist. Ich darf nicht mal die Tür aufmachen. Aber jetzt ist es okay, jetzt ist er ja da. Ich kann ihn jederzeit rufen, wenn ich ihn brauche, nicht?«
»Natürlich«, sagte Barbara. Sie schnippte etwas Asche auf die sauberen Steinplatten, und als das Mädchen mit seinen dunklen Augen den Fall der Asche beobachtete und dabei nachdenklich die Stirn runzelte, wischte Barbara mit einem Fuß über die Asche und verschmierte sie zu einem dunkelgrauen Fleck. Das Mädchen beobachtete das und kaute auf der Unterlippe.
»Müßtest du nicht eigentlich im Bett sein?« fragte Barbara.
»Ich schlafe nicht gut. Meistens lese ich so lange, bis ich die Augen nicht mehr offenhalten kann. Aber ich muß immer warten, bis Dad eingeschlafen ist, ehe ich mein Licht anmache, sonst kommt er nämlich in mein Zimmer und nimmt mir das Buch weg. Er sagt immer, ich soll von hundert an rückwärts zählen, wenn ich nicht schlafen kann, aber ich finde, lesen ist viel einfacher, finden Sie nicht auch? Außerdem kann ich viel schneller von hundert an rückwärts zählen, als ich einschlafen kann, und was soll ich dann tun, wenn ich bei Null bin?«
»Ja, das ist ein echtes Problem.« Wieder spähte Barbara an dem Kind vorbei in die Wohnung. »Und deine Mama, ist die gar nicht da?«
»Meine Mama ist bei Freunden zu Besuch. In Ontario. Das ist in Kanada.«
»Ja, ich weiß.«
»Sie hat mir noch keine Karte geschickt. Wahrscheinlich hat sie so viel zu tun. Das ist immer so, wenn man Freunde besucht. Sie heißt Malak. Meine Mama, meine ich. Das heißt, ihr richtiger Name ist das eigentlich nicht. Dad nennt sie so. Malak heißt Engel. Ist das nicht schön? Ich wollte, ich
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