07 - Asche zu Asche
-«
»Geburtstagsfeier«, sagte Barbara leise. »Ja. Ich weiß.« Sie wartete, bis sie hörte, wie die Tür der Erdgeschoßwohnung geschlossen wurde. Dann kehrte sie zu ihrem Tee zurück.
Der Anrufbeantworter winkte ihr gebieterisch, Erinnerung an die andere Verpflichtung, die sie heute nicht erfüllt hatte. Sie brauchte das Band gar nicht erst abzuhören, um zu wissen, wer angerufen hatte. Sie ging gleich zum Telefon und wählte Mrs. Flos Nummer.
»Ach, wir sitzen gerade bei einem Täßchen Bouillon«, berichtete Mrs. Flo, als sie sich meldete. »Und dazu gibt's Toast mit Kräuteraufstrich. Ihre Mama schneidet sich ihre Brote wie lauter kleine Häschen zu - nicht wahr, meine Liebe? Ja, das ist wirklich niedlich -, und dann stecken wir sie in den Toaster und passen auf, daß sie nicht verbrennen.«
»Wie geht es ihr?« fragte Barbara. »Es tut mir leid, daß ich heute nicht da war. Ich hatte Dienst.«
Sie hörte gedämpfte schlurfende Schritte auf dem Linoleum, und die Stimme von Mrs. Flo, die sagte: »Sie passen jetzt einen Moment ganz genau darauf auf, ja, meine Liebe? Ja, stellen Sie sich direkt daneben. Das ist gut. Sie wissen, was Sie tun müssen, wenn es zu qualmen anfängt, nicht? Können Sie es mir wiederholen?«
»Ich bin gerade von der Arbeit nach Hause gekommen«, sagte Barbara. »Ist etwas - wie geht es meiner Mutter?«
»Sie arbeiten wirklich zuviel, Kind«, sagte Mrs. Flo. »Essen Sie wenigstens richtig? Achten Sie auf sich?
Schlafen Sie genug?«
»Alles wunderbar. Keine Sorge. Der Kühlschrank, den ich mir habe liefern lassen, steht zwar bei meinen Nachbarn vor der Tür und nicht bei mir, aber sonst ist alles bestens. Wie geht es meiner Mutter, Mrs. Flo? Besser?«
»Sie hatte fast den ganzen Tag wieder mit dem Bauch zu tun und hat nicht gegessen. Das hat mir etwas Sorge gemacht. Aber jetzt sieht es schon besser aus. Sie fehlen ihr allerdings.«
»Ja«, sagte Barbara. »Ich weiß. Es tut mir so leid.«
»Sie sollen sich keine Sorgen machen und keine Vorwürfe«, widersprach Mrs. Flo in entschiedenem Ton. Ihre Stimme war warm. »Sie tun Ihr Bestes. Ihrer Mutter geht es schon wieder gut. Sie hat noch ein bißchen erhöhte Temperatur, aber sie ißt ihren Toast.«
»Aber auf die Dauer reicht das doch nicht.«
»Fürs erste schon, Kind.«
»Kann ich mal mit ihr sprechen?«
»Natürlich. Sie wird selig sein, wenn sie Ihre Stimme hört.«
Ein Moment verging. Barbara bemühte sich, nicht an Toast, an Eßbares irgendeiner Art zu denken. Ihrer Mutter ging es nicht gut; sie hatte sie nicht besucht; und da konnte sie einzig daran denken, irgend etwas halbwegs Eßbares zwischen die Zähne zu bekommen! Was war sie eigentlich für eine Tochter?
»Pearl? Pearlie?« Doris Havers' Stimme am anderen Ende der Leitung zitterte unsicher. »Mrs. Flo hat gesagt, es ist keine Verdunkelung mehr. Ich hab gesagt, wir müssen die Fenster zuhängen, damit die Deutschen uns nicht sehen, aber sie hat gesagt, das ist nicht nötig. Es ist gar kein Krieg mehr. Hast du das gewußt? Hat Mami zu Hause die Verdunkelung abgenommen?«
»Hallo, Mama«, sagte Barbara. »Mrs. Flo hat mir erzählt, daß es dir nicht gutgegangen ist. Was macht dein Bauch?«
»Ich hab dich mit Stevie Baker gesehen«, sagte Doris Havers.
»Ihr habt gedacht, ich seh euch nicht, aber ich hab euch doch gesehen, Pearlie. Er hatte dir dein Kleid hochgeschoben und die Hose runtergezogen. Du hast's mit ihm gemacht.«
»Mama«, rief Barbara. »Hier ist nicht Tante Pearl. Sie ist gestorben, weißt du nicht mehr? Im Krieg.«
»Aber ist doch gar kein Krieg. Mrs. Flo hat gesagt -«
»Sie meinte, daß der Krieg zu Ende ist, Mama. Hier spricht Barbara. Deine Tochter. Tante Pearl ist tot.«
»Barbara.« Doris Havers wiederholte den Namen so nachdenklich, daß Barbara sich die mühsam arbeitenden Zellen ihres langsam zerfallenden Gehirns fast bildlich vorstellen konnte.
»Ich kann mich nicht erinnern ...« Wahrscheinlich drehte sie jetzt mit zunehmender Verwirrung das Telefonkabel in den Fingern. Und ihr Blick flog durch Mrs. Flos Küche, als wäre dort irgendwo der Schlüssel zur Lösung des Rätsels versteckt.
»Wir haben in Acton gewohnt«, sagte Barbara behutsam. »Du und Dad. Ich. Und Tony.«
»Tony. Von ihm habe ich oben ein Bild.«
»Ja. Das ist Tony, Mama.«
»Er besucht mich nie.«
»Nein. Weißt du ...« Barbara merkte plötzlich, wie verkrampft sie den Telefonhörer hielt, und zwang sich, die Finger zu lockern. »Er ist auch tot.« Wie ihr
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