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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Nacken sehen konnte, der etwas Verletzliches an sich hatte und mich komischerweise rührte. »Du brauchst mit Männern nicht so zu sein«, sagte er.
    »Es gibt andere Möglichkeiten.«
    »Ach ja? Möglichkeiten wozu?«
    »Man selbst zu sein. Was wert zu sein. Was auch immer.«
    »Na klar.« Ich setzte mich auf und zog die Decke um mich. Zwischen Holzstößen und dem unfertigen Gerüst des Bootsinneren konnte ich die Tiere sehen. Toast war aufgestanden und kaute auf einem Gummiball. Auch der Beagle, den Chris Jam genannt hatte, war wach. Eine der Ratten rannte in ihrem Laufrad im Käfig. Es klang wie das Ratatata einens Maschinengewehrfeuers. »Na, mach schon«, forderte ich ihn auf.
    »Was meinst du?«
    »Halt die Predigt, die dir auf der Seele liegt. Aber sei vorsichtig, ich bin nämlich nicht wie die da.« Ich deutete auf die Tiere.
    »Ich kann jederzeit abhauen.«
    »Warum tust du's nicht?«
    Ich starrte ihn wütend an. Ich konnte die Frage nicht beantworten. Ich hatte das Zimmer in Earl's Court. Ich hatte meine Stammkunden. Ich hatte täglich Gelegenheit, meinen Kundenkreis zu erweitern. Solange ich bereit war, alles zu tun und alles auszuprobieren, verfügte ich über eine ständige Einkommensquelle. Warum blieb ich dann?
    Damals dachte ich: Weil ich dir zeigen will, was Sache ist. Du wirst dich noch wundern, du kleiner Scheißer. Du wirst noch so geil auf mich sein, daß du vor mir kriechst, nur um mir die Füße lecken zu dürfen.
    Und um ihn soweit zu bringen, mußte ich natürlich auf dem Boot bleiben.
    Ich hob meine Sachen vom Boden zwischen den Matratzen auf. Ich zog mich an. Ich faltete meine Decke. Ich fuhr mir mit den Fingern durch das Haar. »Also gut«, sagte ich.
    »Was?«
    »Ich zeig's dir.«
    »Was?«
    »Wie schnell ich laufen kann. Und wie weit. Und was du sonst noch alles sehen willst.«
    »Klettern?« »Klar.«
    »Springen?«
    »Okay.«
    »Auf dem Bauch robben?«
    »Na, darin bin ich doch Expertin.«
    Er wurde rot. Es war das erste und einzige Mal, daß ich es schaffte, ihn in Verlegenheit zu bringen. Mit der Fußspitze schob er ein Stück Holz zur Seite. »Livie«, sagte er.
    »Ich hätte kein Geld von dir verlangt«, meinte ich.
    Er seufzte. »Es ist nicht, weil du eine Nutte bist. Damit hat es nichts zu tun.«
    »O doch«, rief ich. »Ich wäre nämlich schon mal gar nicht hier, wenn ich keine Nutte wäre.« Ich stieg an Deck hinauf. Er kam nach. Es war ein grauer Tag, windig. Blätter wehten über den Treidelpfad. Während wir noch dort standen, begannen die ersten Tropfen die Oberfläche des Kanals zu kräuseln.
    »Gut«, sagte ich. »Laufen, klettern, springen, robben.« Und von Chris gefolgt, rannte ich los, um ihm zu zeigen, was ich konnte.
    Er prüfte meine Eignung. Das ist mir heute klar, aber damals nahm ich an, das seien Strategien, die er sich für mich ausgedacht hatte, um zu verhindern, daß er vor mir in die Knie ging. Ich wußte ja damals nicht, daß er andere Interessen verfolgte. In den ersten Wochen unseres Zusammenlebens arbeitete er am Boot, traf sich mit Auftraggebern, die sein fachliches Können zur Renovierung ihrer Häuser suchten, kümmerte sich um seine Tiere. Abends blieb er zu Hause, meistens las er, hörte aber auch Musik und nahm Dutzende von Anrufen entgegen, von denen ich - wegen des geschäftlichen Tons und der vielen Hinweise auf Stadtpläne und Generalstabskarten - glaubte, sie hätten mit einer handwerklichen Arbeit zu tun.
    Ungefähr vier Wochen nach meinem Einzug ging er das erstemal abends weg. Er sagte, er müsse zu einem Treffen mit vier alten Schulfreunden, das sei eine monatliche feste Einrichtung. So ganz unwahr war das auch gar nicht, wie ich später herausfand. Er sagte, er würde nicht sehr spät zurückkommen. Und er kam auch nicht spät. Aber dann ging er in derselben Woche noch ein zweites und ein drittes Mal abends weg. Beim vierten Mal kam er erst morgens gegen drei wieder und weckte mich, weil er solchen Krach machte. Ich fragte ihn, wo er gewesen sei. Er nuschelte: »Zuviel getrunken«, ließ sich auf seine Luftmatratze fallen und war sofort eingeschlafen.
    Eine Woche später ging das gleiche wieder los. Er treffe sich mit seinen Freunden, sagte er. Nur kam er diesmal in der dritten Nacht überhaupt nicht nach Hause.
    Ich setzte mich mit Toast und Jam an Deck und wartete auf ihn. Im Lauf der Stunden wurde meine Besorgnis um ihn langsam bitter. Na schön, sagte ich mir, was du kannst, kann ich schon lange. Ich motzte mich richtig auf, mit

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