07 - Asche zu Asche
kläfften und tänzelten ein paar Schritte nach rückwärts, bis er lächelnd jedem einen Hundekuchen zuwarf.
»Schlaf dich aus«, meinte er zu Chris. »Gut gemacht.« Er nickte mir noch einmal zu und ging davon.
Chris trug seine Luftmatratze zu den Tieren hinüber und schlief den ganzen Morgen neben Beans. Ich behielt Toast und Jam bei mir im Arbeitsraum, wo ich versuchte, Kisten, Werkzeuge und Holz zu ordnen, während sie mit einem Quietschtier spielten. Hin und wieder nahm ich eine telefonische Nachricht entgegen. Die Anrufe waren alle äußerst rätselhaft. Da hieß es zum Beispiel: »Sagen Sie Chris, Vale-of-March-Zwinger klappt«, oder »Fünfzig Tauben in Lancashire, P-A-L«, oder »Noch nichts wegen Boots. Wir warten noch auf Nachricht von Sonia.« Als Chris um Viertel nach zwölf aufstand, hatte ich endlich begriffen, was ich in meiner Blindheit vorher nicht erkannt hatte.
Dazu beigetragen hatten die BBC-Nachrichten im Radio, in denen darüber berichtet wurde, was die Vereinigung Animal Rescue Movement in der vergangenen Nacht in Whitechapel unternommen hatte. Als Chris in den Arbeitsraum kam, wurde gerade jemand interviewt und sagte: »... ihre Blindheit und ihre Dummheit die medizinische Forschungsarbeit von fünfzehn Jahren rücksichtslos vernichtet.«
Mit einer Tasse Tee in der Hand blieb Chris an der Tür stehen. Ich starrte ihn an. »Du klaust Tiere.«
»Richtig.«
»Toast?«
»Ja.«
»Jam?«
»Ja.«
»Die Ratten?«
»Und Katzen und Vögel und Mäuse. Ab und zu ein Pony. Und Affen. Affen in Massen.«
»Aber - das ist doch verboten!«
»Ja, nicht wahr?«
»Warum machst du dann -« Es war undenkbar. Chris Faraday, der gehorsamste aller Bürger. Wer war er überhaupt? »Was tun sie mit ihnen? Mit den Tieren, meine ich?«
»Alles, was sie wollen. Sie versetzen ihnen Elektroschocks, sie blenden sie, bringen ihnen Schädelbrüche bei, rufen Magengeschwüre hervor, durchtrennen das Rückenmark, zünden sie an. Alles, was sie wollen. Es sind ja nur Tiere. Die fühlen keinen Schmerz. Obwohl sie ein Nervensystem haben wie wir.
Obwohl sie Schmerzrezeptoren haben und Verbindungen zwischen diesen Rezeptoren und dem Nervensystem bestehen. Obwohl ...«
Er rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. »Entschuldige. Ich halte Vorträge. Es war eine lange Nacht. Ich muß nach Beans sehen.«
»Meinst du, er kommt durch?«
»Wenn's nach mir geht, ja.«
Er blieb den ganzen Tag und die Nacht bei dem Hund. Max kam am folgenden Morgen wieder, und sie hielten eine knappe Besprechung ab. Einmal hörte ich Max sagen: »Christopher, hör auf mich. Du kannst doch nicht -« Und Chris unterbrach ihn mit den Worten: »Doch. Ich kann und ich werde.«
Chris siegte schließlich, weil er sich zu einem Kompromiß bereit erklärte. Jam wanderte glücklich in das neue Zuhause, das Max in Holland Park für ihn gefunden hatte; wir behielten Beans. Und als das Boot ganz fertig war, wurde es für viele andere, bei Nacht und Nebel entführte Tiere ein Übergangsheim, das Zentrum, von dem aus Chris seine heimliche Macht einsetzte.
Macht. Als wir die Aufnahmen der Ereignisse sahen, die sich am letzten Dienstag nachmittag am Fluß abgespielt hatten, meinte Chris, es sei an der Zeit, daß ich die Wahrheit sagte. »Du kannst dem allen ein Ende machen, Livie«, sagte er. »Du hast die Macht.« Wie seltsam es war, diese Worte zu hören! Genau das hatte ich mir ja immer gewünscht.
In dieser Hinsicht bin ich meiner Mutter wahrscheinlich ähnlicher, als mir lieb ist. Während ich lernte, mit den Tieren umzugehen, während ich an den ersten Versammlungen der Bewegung teilnahm und mir eine Arbeit suchte, die unseren Zielen dienlich sein konnte - ich arbeitete als Hilfskraft in der Tierklinik des Londoner Zoos -, nahm Mutter die Verwirklichung ihrer Pläne für Kenneth Fleming in Angriff.
Als sie aus seinem eigenen Mund gehört hatte, daß er immer noch davon träumte, ein großer Cricket-Spieler zu werden, hatte sie endlich das Werkzeug, das sie gesucht hatte, um seine Ehe mit Jean Cooper zu unterminieren. Für Mutter war es zweifellos undenkbar, daß Jean und Kenneth möglicherweise nicht nur zueinander paßten, sondern auch glücklich waren - miteinander und mit dem Leben, das sie für sich und ihre Kinder aufgebaut hatten. Jean war Kenneth doch intellektuell weit unterlegen. Sie hatte ihn doch nur mit List eingefangen, und er hatte sie doch nur aus Pflichtgefühl geheiratet, aber doch keinesfalls aus Liebe! In Mutters Augen
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