07 - Asche zu Asche
dauerte nicht lange, bis er Kenneth aussonderte und ihm spezielle Aufmerksamkeit widmete. Das tat er zuerst im Mile End Park, wo er mit Kenneth mit dem Schlagholz trainierte. Aber schon nach zwei Monaten schlug der alte Cricket-Profi vor, für einige Trainingseinheiten einen der Übungsplätze im Lord's zu buchen.
Da sind wir ungestörter, wird er zu Kenneth Fleming gesagt haben. Wir wollen doch nicht, daß uns Spitzel anderer Mannschaften beobachten.
Sie gingen also zu Lord's. Zuerst Sonntag morgens. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie Kenneth Fleming sich gefühlt haben wird, als das Tor der Cricket-Trainingsanlage sich hinter ihm schloß, und er das Knallen der Schlaghölzer hörte, die auf die Bälle droschen, und das Pfeifen der Bälle, die durch die Luft sausten; wie ihm zumute gewesen sein wird, als er an den von Netzen eingefaßten Plätzen entlangging: mit nervös flatterndem Magen und vor Aufregung feuchten Händen, so beeindruckt, daß es ihm nicht einfiel, sich zu fragen, warum Hal Rashadam soviel Zeit und Energie einem jungen Mann widmete, dessen wahre Zukunft gar nicht das Cricket war - du liebe Zeit, er war doch schon siebenundzwanzig Jahre alt! -, sondern ein Leben auf der Isle of Dogs, in einem Reihenhäuschen mit einer Frau und drei Kindern.
Und Jean? fragen Sie.
Wo war sie in dieser Zeit, was tat sie, wie reagierte sie auf die geballte Aufmerksamkeit, die Kenneth von Rashadam entgegengebracht wurde?
Ich denke mir, es fiel ihr zunächst gar nicht auf. Anfangs entwickelte sich das sehr subtil.
Wenn Kenneth nach Hause kam und sagte: »Hal findet dies« oder »Hal sagt jenes«, wird sie genickt und registriert haben, daß das Haar ihres Mannes vom Aufenthalt in der Sonne heller geworden war, daß er gesünder aussah denn je, seine Bewegungen geschmeidiger waren als je zuvor, sein Gesicht eine Lebensfreude ausstrahlte, von der sie vergessen hatte, daß er sie einmal besessen hatte.
All dies rief Begehren wach. Und wenn sie miteinander im Bett waren und ihre Körper sich im gleichen Rhythmus bewegten, war es das Unwichtigste von der Welt, darüber nachzudenken, wohin diese Leidenschaft für das Cricket sie alle führen würde.
Olivia
Ich denke mir, Kenneth Fleming hielt seinen tiefsten und inbrünstigsten Wunsch, aus mitternächtlicher Verschmelzung von Hoffnung und Phantasie geboren, vor seiner Frau geheim. Er hatte ja mit ihrem täglichen Leben kaum etwas zu tun. Jean wird mit dem Haushalt, den Kindern und ihrer Arbeit auf dem Billingsgate-Markt vollauf beschäftigt gewesen sein. Sie hätte wahrscheinlich nur verächtlich gelacht, hätte jemand ihr gesagt, Kenneth könne weit mehr erreichen, als sich bei der Druckerei Whitelaw als tüchtiger Arbeiter zu bewähren und eines Tages vielleicht Betriebsleiter zu werden. Diese Zweifel entsprangen sicher nicht Unfähigkeit oder mangelnder Bereitschaft, an ihren Mann zu glauben, sondern vielmehr praktischer Würdigung der gegebenen Tatsachen.
Mir scheint Jean in dieser Partnerschaft immer der realistischere Teil gewesen zu sein. Sie war, wie Sie sich erinnern werden, diejenige, die damals, vor so vielen Jahren, Sex in der Pillenpause für riskant hielt; sie war diejenige, die, als sie entdeckte, daß sie schwanger war, beschloß, das Kind zur Welt zu bringen und zu behalten, ganz gleich, ob Kenneth sich für oder gegen sie und das Kind entscheiden sollte.
Es scheint daher vernünftig anzunehmen, daß sie durchaus fähig war, die Situation realistisch einzuschätzen, als Hal Rashadam in ihr Leben trat: Kenneth ging auf die Achtundzwanzig zu; er hatte nie professionell Cricket gespielt, sondern lediglich ein Jahr in der Schule und später mit seinen Kindern und mit der Werksmannschaft; eiserne Tradition bestimmte, welchen Weg man einschlagen mußte, wollte man überhaupt daran denken, einmal für die englische Nationalmannschaft zu spielen.
Kenneth war diesen Weg nicht gegangen. Er hatte zwar den ersten Schritt in die richtige Richtung getan, indem er in der Schule gespielt hatte, aber das war auch schon alles.
Jean wird auf den Gedanken an Kenneth als Cricket-Profi mit leicht spöttischer Verachtung reagiert haben. Wahrscheinlich sagte sie: »Kenneth, Schatz, du sitzt wieder mal im Wolkenkuckucksheim.« Sie wird ihn scherzhaft gefragt haben, wie lange er seiner Schätzung nach wohl würde warten müssen, bis der Kapitän der Nationalmannschaft und die Mitglieder dies Auswahlausschusses vorbeikommen und sich den Vergleichskampf des
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