07 - Asche zu Asche
den er liebte, und wenn er es genoß, von Frau und Kindern befreit zu sein, so war das eigentlich nur eine angenehme Beigabe im größeren Rahmen der Dinge.
Ich könnte mir denken, daß er sich nach seinem Umzug in Mutters Häuschen anfangs etwas seltsam vorkam, besonders am ersten Abend. Er wird seine Sachen ausgepackt und sich etwas zu essen gemacht haben. Beim Essen empfand er die Stille, die ihm so fremd war, wahrscheinlich als bedrückend. Er wird versucht haben, Jean anzurufen, aber die war vielleicht mit den Kindern zum Essen ausgegangen, um sich und sie von den Gedanken an das leere Haus abzulenken. Daraufhin wird er probiert haben, Hal Rashadam zu erreichen, um mit ihm den Trainingsplan durchzugehen, nur um zu hören, daß Hal an diesem Abend bei seiner Tochter und ihrem Mann zum Abendessen war. Schließlich, als das Bedürfnis nach irgendeinem menschlichen Kontakt quälend wurde, wird er Mutter angerufen haben.
»Ich bin da«, wird er gesagt und dabei vermieden haben, zu den Fenstern zu blicken und in die endlose schwarze Nacht hinter ihnen.
»Das freut mich, mein Junge. Haben Sie alles, was Sie brauchen?«
»Ich denke schon. Ja. Sicher. Ich glaub schon.«
»Was ist, Ken? Ist im Haus etwas nicht in Ordnung? Fehlt etwas? Hatten Sie Schwierigkeiten, hineinzukommen?«
»Nein, nein. Es ist nur ... ach, nichts. Nur ... ach, was red ich da. Hört sich an, als hätte ich den Verstand verloren, wie?«
»Aber was ist denn? Sagen Sie es mir doch.«
»Ich hab nicht erwartet, daß ich mich so - na ja, irgendwie unbehaglich fühlen würde.«
»Unbehaglich?«
»Also, ich warte dauernd darauf, daß ich höre, wie Stan seinen Ball an die Wohnzimmerwand knallt. Ich warte darauf, daß Jean ihn anbrüllt und sagt, er soll endlich aufhören. Es ist so ungewohnt ohne sie.«
»Es ist doch ganz natürlich, daß Sie sie vermissen. Seien Sie nicht so hart mit sich selbst.«
»Ja, wahrscheinlich vermisse ich sie wirklich.«
»Aber sicher. Sie sind ein wichtiger Teil Ihres Lebens.«
»Ich habe eben versucht, sie anzurufen und - ach, verdammt, wieso jammere ich Ihnen was vor? Sie waren gut zu mir. Zu uns allen. Daß Sie mir diese Chance gegeben haben. Das wird vielleicht unser ganzes Leben verändern.«
An diesem Abend am Telefon wird Mutter ihm geraten haben, sich Zeit zu lassen, sich an das Haus und die neue Umgebung zu gewöhnen, sich an den Möglichkeiten zu freuen, die ihm offenstanden.
»Ich halte Verbindung mit Jean«, wird sie versprochen haben.
»Ich besuche sie gleich morgen nach der Arbeit und sehe, wie sie und die Kinder zurechtkommen. Ich weiß, das wird an Ihrer Sehnsucht nach ihnen nichts ändern, aber vielleicht beruhigt es Sie ein bißchen.«
»Sie sind so gut zu uns.«
»Ich freue mich doch, wenn ich Ihnen helfen kann.«
Dann wird sie ihm vorgeschlagen haben, sich mit einer Tasse Kaffee oder einem Kognak in den Garten zu setzen und zum Sternenhimmel hinaufzuschauen, der dort draußen auf dem Land unvergleichlich sei. Schlafen Sie sich gründlich aus, wird sie ihm geraten haben. Und packen Sie morgen früh gleich richtig an. Es gibt viel zu tun, nicht nur im Cricket, sondern auch in Haus und Garten.
Und er wird ihren Rat befolgt haben, wie er das immer tat. Er wird mit einer Flasche Kognak hinausgegangen sein und sich auf den ungemähten Rasen gesetzt haben, in jenen Teil des Gartens, der zur Straße abfällt. Er wird sich ein Glas eingeschenkt und zu den Sternen hinaufgesehen haben. Und er wird den Geräuschen gelauscht haben, die das Land bei Nacht hervorbringt.
Dem Schnauben eines Pferdes auf der benachbarten Koppel; dem Zirpen der Grillen auf dem Feld und am Straßenrand; dem Schrei einer Eule auf nächtlicher Jagd; dem Läuten einer Kirchenglocke aus Springburn; dem gedämpften Rattern eines fernen Zugs. Es ist ja überhaupt nicht still, wird er überrascht gedacht haben.
Dann hat er sich vielleicht auf seinen Ellbogen zurückgelehnt und getrunken, schnell, um sich gleich noch ein zweites Glas einzugießen. Seine Stimmung wird sich gehoben haben. Vielleicht legte er sich ins Gras zurück, einen Arm angewinkelt unter dem Kopf, und wurde sich zum erstenmal so richtig bewußt, daß sein Leben ihm gehörte.
Tatsächlich glaube ich nicht, daß es so schnell ging; daß das alles gleich am ersten Abend passierte. Es war vermutlich mehr ein langsamer Prozeß der Verführung, bei dem sich die Pflichten von Training, Übungsspielen und Reisen mit einem wachsenden Gefühl innerer Freiheit verbanden.
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