07 - Asche zu Asche
Das, was anfangs befremdlich gewesen war, wurde letztlich als angenehm empfunden. Keine quengelnden Kinder, keine Ehefrau, die im Gespräch manchmal ziemlich langweilig sein konnte und zu Wiederholungen neigte, kein tägliches In-die-Tretmühle-Müssen, keine lautstarken Krache der Nachbarn, die man durch dünne Wände hörte, keine Anstandsabendessen mit den Schwiegereltern. Er stellte fest, daß ihm die Unabhängigkeit zusagte. Und da sie ihm zusagte, wollte er mehr davon. Und da er mehr davon wollte, geriet er auf Kollisionskurs mit Jean.
Anfangs wird er Ausflüchte gebraucht haben, um zu erklären, warum er sie an diesem oder jenem Wochenende nicht sehen konnte. Ich hab mir im Rücken einen Muskel gezerrt, Schatz, und liege total flach. Ich muß dringend noch einen Kostenvoranschlag für die Druckerei fertig machen. Ich hab die Küche und das Bad auseinandergenommen; ich will sie für Mrs. Whitelaw renovieren. Rashadam will unbedingt, daß ich nach Leeds rauffahre und mir da ein Spiel anschaue.
An diesen Wochenenden wird er festgestellt haben, daß er sehr gut ohne Familie auskam. Bei den Veranstaltungen des Vereins wird er sich mit den anderen Spielern und ihren Frauen und Freundinnen unterhalten und dabei fair und objektiv, wie er sich sagte, zu beurteilen versucht haben, wie Jean in diese Gruppe hineinpassen würde. Vielleicht hat er sie sogar gleich zu Anfang einmal mitgenommen und beobachtet, wie und ob überhaupt sie mit den anderen Kontakt aufnahm; vielleicht hat er aus ihrer Tendenz, sich ein wenig abseits zu halten, Unbehagen und Ungewandtheit herausgelesen statt Vorsicht und Zurückhaltung, und ist zu der für ihn bequemen Schlußfolgerung gekommen, seine Frau habe für die oberflächlichen Gespräche der anderen Frauen und das Geplänkel der Männer kein Talent und werde sich lächerlich machen, wenn er sie nicht abschirmte.
Er hatte also durchaus triftige Gründe dafür, seine Familie nicht so regelmäßig zu sehen, wie er das eigentlich wollte. Als Jean dann anfing, zu fragen und zu zweifeln, und ihn darauf hinwies, daß seine Pflichten als Gatte und Vater sich nicht darauf beschränkten, sie mit Geld zu versorgen, mußte er sich etwas Besseres einfallen lassen. Als Jean auf Konfrontationskurs ging und Forderungen zu stellen begann, die seine Freiheit bedrohten, wird er beschlossen haben, ihr die Wahrheit in einer Form zu präsentieren, die ihr möglichst wenig weh tun würde.
Er faßte diesen Entschluß zweifellos mit der zartfühlenden Hilfe seiner Herzensfreundin, meiner Mutter, die ihm in dieser Zeit der Unsicherheit eine große Stütze gewesen sein muß. Kenneth versuchte, sich über seine Situation klarzuwerden: Ich weiß nicht mehr, was ich eigentlich fühle. Liebe ich sie? Begehre ich sie? Will ich diese Ehe noch? Fühle ich mich so, weil ich so viele Jahre an der Kandare war? Hat Jean mich in die Falle gelockt? Habe ich selbst mir die Falle gestellt? Wenn mir die Ehe bestimmt ist, wie kommt es dann, daß ich erst, seit wir getrennt sind, das Gefühl habe, endlich lebendig geworden zu sein? Wie kann das nur sein? Sie ist doch meine Frau. Es sind doch meine Kinder. Ich liebe sie. Ich fühle mich wie der letzte Dreck.
Wie vernünftig von Mutter, unter diesen Umständen eine vorübergehende Trennung vorzuschlagen, zumal die beiden ja sowieso schon getrennt lebten: Sie müssen über sich und ihr Leben nachdenken, mein Junge. Sie sind völlig durcheinander, und das ist überhaupt nicht verwunderlich. Sehen Sie sich doch die Veränderungen an, mit denen Sie innerhalb von wenigen Monaten fertigwerden mußten. Und nicht nur Sie, sondern auch Jean und die Kinder. Geben Sie sich und ihnen Zeit und Raum, damit jeder für sich erkennen kann, wer er ist und was er will. Sie haben doch in den vergangenen Jahren nie eine Gelegenheit gehabt, das zu tun, nicht wahr? Weder Sie noch Jean.
Schlau eingefädelt. Nicht Kenneth allein mußte sich »über sich und sein Leben klarwerden«. Nein, beide hatten es nötig. Daß Jean überhaupt kein Bedürfnis verspürte, sich über irgend etwas klarzuwerden, am wenigstens darüber, ob sie ihre Ehe weiterführen wollte, spielte keine Rolle. Nachdem Kenneth einmal beschlossen hatte, daß sie beide Zeit für sich brauchten, um zu klären, wer sie waren und was sie einander in der Zukunft noch sein konnten, waren die Würfel gefallen. Er war schon aus dem Haus. Jean konnte verlangen, daß er zurückkehrte, aber er brauchte es nicht zu tun.
»Es ist alles so schnell
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