07 - Asche zu Asche
zu sprechen.«
»O nein, es tut Ihnen nicht leid.« Sie schüttelte langsam den Kopf. Sie schien zu müde, um sich länger gegen ihn zur Wehr zu setzen. »Ich habe meine Bitte vorgebracht«, sagte sie. »Und meine Mutter war sofort einverstanden.«
»Womit, Miss Whitelaw?«
»Meine Asche bei der meines Vaters zu bestatten, Inspector.«
17
Mit einem Gefühl des Triumphs spießte Barbara Havers den letzten Ring der calamari fritti auf, ehe Lynley zulangen konnte. Sie bedachte mit Muße und Genugtuung, welche der drei Soßen - marinara, olio vergine de oliva mit Kräutern oder Butter und Knoblauch - sie dazu nehmen sollte. Sie entschied sich für die zweite, wobei sie überlegte, was denn nun eigentlich vergine war, die Olive oder das Öl.
Auf Lynleys Vorschlag, sie sollten sich die Kalamari als Vorspeise teilen, hatte sie gemeint: »Gute Idee, Sir. Dann nehmen wir also einmal Kalamari.« Dabei hatte sie in die Speisekarte geblickt und versucht, Kennermiene zu zeigen. Tatsächlich beschränkte sich ihre Erfahrung mit italienischer Küche auf den gelegentlichen, zweifelhaften Genuß eines Tellers spaghetti bolognese in irgendeinem Schnellimbiß, wo man die Spaghetti aus dem Paket und die Bolognese, die sofort einen rostfarbenen Ölring bildete, aus der Dose auf den Teller zu klatschen pflegte.
Hier hatten spaghetti bolognese gar nicht auf der Karte gestanden, und eine englische Übersetzung der aufgeführten Gerichte gab es nicht. Man hätte wahrscheinlich auf Wunsch eine englische Karte haben können, aber damit hätte man ja seine Unwissenheit eingestanden, und das vor einem Vorgesetzten, der, soweit Barbara bekannt war, mindestens drei gottverdammte Fremdsprachen beherrschte, die Karte mit großem Interesse studierte und den Kellner dann auch noch fragte, wie stagionato denn das cinghiale sei. Da hatte sie lieber munter drauflos bestellt, auch wenn ihre Aussprache nicht korrekt war, und im stillen nur gebetet, daß sie nicht gerade Oktopus erwischt hatte.
Kalamari war sehr nahe daran, wie sie entdeckte. Gewiß, die Dinger sahen nicht wie Tintenfisch aus. Da waren keine Fangarme, die einem freundlich vom Teller entgegenwinkten. Aber hätte sie in dem Moment, als sie sich zu der Gemeinschaftsbestellung mit Lynley durchgerungen hatte, gewußt, was sie erwartete, so wäre sie nicht auf seinen Vorschlag eingegangen, sondern hätte eine Allergie gegen alle Wesen mit Fangarmen vorgeschützt.
Doch die erste Kostprobe beruhigte sie. Die zweite, dritte und vierte - in Verbindung mit den Soßen, in die sie ihre Happen immer mutiger eintauchte - überzeugten sie, daß sie bisher ein viel zu behütetes gastronomisches Leben geführt hatte. Sie hatte schon eine ganz beachtliche Bresche in das kunstvolle Arrangement wohlschmeckender weißer Ringe geschlagen, als sie merkte, daß Lynley kaum Schritt hielt. Tapfer kämpfte sie jedoch weiter, machte schließlich triumphierend ihren letzten Stich und wartete auf eine Bemerkung Lynleys über ihren Appetit oder ihre Tischmanieren.
Er äußerte sich überhaupt nicht, sondern zerzupfte zwischen seinen Fingern ein Stück focaccia, so gewissenhaft, als hätte er die Absicht, die Krümel am Rand des Blumenkastens entlang zu verteilen, der den Bereich des Capannina di Sante abgrenzte; eines Restaurants, das, einen Katzensprung von der Kensington High Street entfernt, in einer ruhigen Nebenstraße lag und neben einer angeblichen, aber obskuren Verbindung zu einem Restaurant gleichen Namens in Florenz das vornehmlich auf den südlichen Teil des Kontinents beschränkte Vergnügen des Speisens im Freien bot, wenn das launische Londoner Wetter es erlaubte. Als wären sie mit telepathischen Fähigkeiten besonderer Art ausgestattet, hatten sich in dem Moment, als Lynley das Brot aus dem Korb nahm und auf seinen Teller legte, sechs kleine, braune Vögel eingefunden. Sie hüpften jetzt erwartungsvoll vom Rand des Blumenkastens zu den ordentlich gestutzten Wacholderpflanzen, die in ihm wuchsen, und fixierten Lynley, der sie gar nicht zu bemerken schien, mit glitzernden Äuglein.
Barbara schob endlich den letzten Kalamari-Ring in den Mund. Sie kaute, genoß, schluckte, seufzte und freute sich auf den secondo, den zweiten Gang, der nun bald folgen mußte. Sie hatte das Gericht einzig des komplizierten Namens wegen gewählt: tagliatelle fagioli all'uccelletto. Eine tolle Kombination von Buchstaben! Wie auch immer das ausgesprochen wurde, sie war überzeugt, daß dieses Gericht das Meisterwerk des
Weitere Kostenlose Bücher